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1974

1974

Titel: 1974 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Peace
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tiefempfundenen Dank verdienen.«
    Wieder branden Fragen durch den Saal.
    Jeanette, 1969, und Susan, 1972, weiter unbeantwortet.
    Die drei Männer und ihr Grinsen erheben sich.
    »Vielen Dank, meine Herren«, ruft Noble und hält seinen Vorgesetzten die Tür auf.
    »Verpiß dich!« brülle ich in meinem schwarzen Anzug, weißen Hemd und dreckigen Verband.
     
    HÄNGT DEN MISTKERL.
    HÄNGT DEN MISTKERL.
    HÄNGT DEN MISTKERL AUF!
    Wood Street, Wakefields Dreifaltigkeit der Regierung:
    Polizei, Gericht und Rathaus.
    Neun Uhr früh, und schon war der Mob da.
    FEIGLING, FEIGLING,
    MYSHKIN IST EIN FEIGLING !
    2000 Hausfrauen und ihre arbeitslosen Söhne.
    Gilman, Tom und ich mitten im Gewühl.
    2000 heisere rauhe Kehlen und ihre Söhne.
    Ein Skin mit seiner Ma, einem Daily Minor und einem selbstgeknüpften Galgenstrick.
    Mehr Beweise braucht es nicht.
    FEIGE SAU, FEIGE SAU,
    MYSHKIN IST ’NE FEIGE SAU!
    Häßliche Hände, die an uns zerren, uns ergreifen und schubsen, in diese und in jene Richtung, in jene und in diese Richtung.
    Plötzlich werde ich vom langen Arm des Gesetzes am Kragen gepackt.
    Sergeant Fraser rettet mich aus letzter Not.
     
    HÄNGT IHN AUF!
    HÄNGT IHN AUF!
    HÄNGT DEN MISTKERL AUF!
     
    Hinter den Marmormauern und den dicken Eichentüren des Magistratsgerichts von Wakefield herrscht einen Augenblick lang Stille, aber nicht für mich.
    »Ich muß mit Ihnen reden«, flüstere ich, drehe mich um und richte meinen Schlips.
    »Da haben Sie verdammt recht«, zischt Fraser. »Aber nicht hier und nicht jetzt.«
    Die Schuhe Größe 44 stapfen davon.
    Ich schiebe die Tür zum Gerichtssaal 2 auf, gesteckt voll und still.
    Alle Stühle besetzt, nur noch Stehplätze.
    Keine Familien, nur die Herren von der Presse.
    Jack Whitehead ganz vorn beugt sich über die hölzerne Sperre und scherzt mit einem Gerichtsdiener.
    Ich starre zu den bleiverglasten Fenstern hinauf, auf denen Szenen mit Hügeln und Schafen, Webereien und dem Heiland dargestellt sind, und das Licht draußen ist so schwach, daß sich die Neonröhren, die so laut über unseren Köpfen summen, im Glas spiegeln.
    Jack Whitehead dreht sich um, verengt die Augen zu einem Schlitz und grüßt mich.
    Bei all dem Marmor und dem Eichenholz nur noch leise wahrnehmbar, scheinen sich die gedämpften Rufe der Menschenmenge draußen mit unserem Geflüster zu vereinen und zum Maß für das Verstreichen der Zeit unter dem Galgen zu werden.
    »Der reine Wahnsinn da draußen«, keucht Gilman.
    »Na, wenigstens sind wir drin«, sage ich und lehne mich gegen die hintere Wand.
    »Ja. Keine Ahnung, was aus Tom und Jack geworden ist.«
    Ich weise zur ersten Reihe der Besuchergalerie. »Jack ist da.«
    »Wie zum Teufel ist er so schnell reingekommen?«
    »Es muß einen unterirdischen Gang zwischen dem Gericht und der Polizeistation geben oder so was.«
    »Ja. Und Jack hat einen verdammten Schlüssel«, sagt Gilman naserümpfend.
    »So ist er nun mal, unser Jack.«
    Ich drehe mich urplötzlich zu den Bleiglasfenstern um, ein schwarzer Schatten erhebt sich draußen und verschwindet dann wieder wie ein riesiger Vogel.
    »Was zum Teufel war das ?«
    »Ein Plakat oder so was. Die Eingeborenen werden langsam’ unruhig.«
    »Da sind sie nicht allein.«
    Wie auf mein Stichwort erscheint er.
    Eine Anklagebank voller Zivilbeamter starrt in den Gerichtssaal hinein, einer von ihnen mit Handschellen gefesselt.
    Michael John Myshkin, ungeheuer fett und mit einem viel zu großen Kopf, steht in einem dreckigen blauen Overall und einer schwarzen Arbeitsjacke vor der Anklagebank.
    Ich schlucke schwer, mein Magen grummelt vor Galle.
    Michael John Myshkin blinzelt und formt ein Spuckebläschen mit den Lippen.
    Ich greife nach meinem Stift, Schmerzen schießen von den Fingernägeln bis zur Schulter hoch, und ich muß mich an die Wand lehnen.
    Michael John Myshkin, der älter als 22 wirkt, sieht uns an und lächelt wie jemand, der nur halb so alt ist.
    Der Gerichtsschreiber vor der Richterbank erhebt sich, hüstelt einmal und fragt: »Sind Sie Michael John Myshkin, wohnhaft 54 Newstead View, Fitzwilliam?«
    »Ja«, antwortet Michael John Myshkin und sieht sich zu einem der Beamten auf der Anklagebank um.
    »Sie werden beschuldigt, zwischen dem 12. und 14. dieses Monats Clare Kemplay ermordet und so gegen den Frieden Unseres Souveräns Ihrer Majestät der Queen verstoßen zu haben. Des weiteren werden Sie beschuldigt, am 18. Dezember in Wakefield ohne die gebotene Rücksicht und Aufmerksamkeit

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