1976 - Das Jesus-Papier
Beverly Hills Hotels. »Sie bewachten mich Tag und Nacht, Männer und Frauen. Die Männer hatten mehr Spaß. Die Franzosen vergeuden nie etwas, nicht wahr?«
»Sie haben den Krieg überlebt«, erwiderte Fontine, der darauf nicht eingehen wollte.
»Mit einem Eimer voll Orden. Croix de guerre, Légion d'honneur, Legion de résistance.«
»Und dann sind Sie ein großer Filmstar geworden, und ich war zu dumm, um Sie zu erkennen.« Victor lächelte.
»Kaum. Obwohl ich Gelegenheit hatte, sozusagen mit vielen prominenten Leuten der Filmindustrie bekannt zu werden.«
»Ich fürchte, ich verstehe nicht.«
»Ich wurde - und auf die Gefahr hin, unbescheiden zu erscheinen, bin immer noch - die erfolgreichste Puffmutter im Süden Frankreichs. Die Filmfestspiele von Cannes allein bringen mir genügend ein, um ein durchaus angemessenes Leben zu führen.« Jetzt war die Frau mit Lächeln an der Reihe.
»Dann freut mich das sehr für Sie. Der Italiener in mir findet an Ihren Beruf genügend Ehrenwertes.«
»Das wußte ich. Ich bin hier auf Talentsuche. Es wäre mir eine große Freude, Ihnen jeden Wunsch zu erfüllen, den Sie vielleicht haben. Hier im Pool sind eine ganze Anzahl meiner Mädchen.«
»Nein. Vielen Dank, Sie sind sehr liebenswürdig. Aber, wie Sie selbst sagten, bin ich nicht der Mann, der ich einmal war.«
»Ich finde Sie großartig«, sagte sie einfach. »Aber so habe ich immer von Ihnen gedacht.« Sie lächelte ihm zu. »Ich muß gehen. Ich habe Sie erkannt und wollte Sie ansprechen, sonst nichts.« Sie stand auf und streckte ihm die Hand hin. »Bitte, bleiben Sie sitzen.«
Ihr Händedruck war fest. »Es war mir ein Vergnügen - und eine große Erleichterung -, Sie wiederzusehen«, sagte er.
Sie hielt seinen Blick fest und sprach mit leiser Stimme: »Ich war vor ein paar Monaten in Zürich. Man hat mich über einen Mann namens Lübok aufgespürt. Eine Verbindung zu Ihnen hergestellt. Er war Tscheche. Ein Homo, wie man mir sagte. Er war der Mann, der mit uns im Flugzeug war, nicht wahr?«
»Ja. Ein sehr tapferer Mann, muß ich hinzufügen. Ein König nach meinem Urteil.« Victor war so verblüfft, daß er instinktiv antwortete, ohne zu begreifen. Er hatte seit Jahren nicht mehr an Lübok gedacht.
»Ja, ich erinnere mich. Er hat uns alle gerettet. Die haben ihn zerbrochen.« Die Frau ließ seine Hand los.
»Ihn zerbrochen? In welcher Hinsicht? Mein Gott, der Mann ist, wenn er noch lebt, so alt wie ich oder älter. Siebzig vielleicht. Wer würde sich für so alte Männer interessieren? Wovon sprechen Sie?«
»Von einem Mann namens Vittorio Fontini-Cristi, Sohn von Savarone.«
»Sie reden Unsinn. Unsinn, den ich verstehe, aber ich kann nicht erkennen, weshalb das Sie betreffen sollte. Oder Lübok.«
»Ich weiß nicht mehr. Das will ich auch gar nicht. Ein Mann in Zürich kam in mein Hotelzimmer und stellte Fragen über Sie. Ich konnte sie natürlich nicht beantworten. Sie waren nur ein Abwehroffizier der Alliierten, der einer Hure das Leben gerettet hat. Aber er war über Anton Lübok informiert.«
»Wer war dieser Mann?«
»Ein Priester. Das ist alles, was ich weiß. Auf Wiedersehen, Hauptmann.« Sie drehte sich um und ging weg, winkte einigen Mädchen zu, die zu auffällig im Pool herumplanschten und lachten.
Ein Priester. In Zürich.
Er ist auf der Suche nach allen, die den Sohn von Fontini-Cristi kannten...
Jetzt verstand er das rätselhafte Zusammentreffen an dem Pool in Los Angeles. Ein ausgestoßener Priester war nach fast dreißig Jahren im Gefängnis freigelassen worden und hatte die Jagd nach den Dokumenten Konstantins Wiederaufleben lassen.
Das Werk Donattis dauert an, stand in dem Brief. Im Augenblick ist er dabei, mühevoll jede Einzelheit ausfindig zu machen, die er ausfindig machen kann... Seine Reisen haben ihn von dem Güterbahnhof in Edhessa durch den Balkan über Monfalcone hinaus in die nördlichen Alpenregionen geführt...
Er ist auf der Suche nach allen, die den Sohn von Fontini-Cristi kannten.
Und Tausende von Meilen entfernt, in New York City, kommt ein anderer Priester - einer, der das Tuch des Herrn in Ehren trägt - in ein Krankenhauszimmer und spricht von einem Akt der Barbarei, den man nicht von jenen Dokumenten trennen durfte. Jenen Dokumenten, die vor drei Jahrzehnten verlorengingen und nach denen immer noch gejagt wird.
Und in Washington betritt ein junger Reedereimagnat ein Büro und sagt aus unerfindlichem Grund, daß seine Familie der Kirche auf eine Art und
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