1976 - Das Jesus-Papier
Neun-Uhr-Maschine nach Washington.
Adrian blieb noch fast eine halbe Stunde unten am Strand. Schließlich schlenderte er zum Haus hinauf, um mit seinen Eltern zu sprechen. Er sagte ihnen, er hätte ursprünglich vorgehabt, über Nacht zu bleiben, glaubte aber jetzt, daß er gehen sollte. Er müßte nach Washington zurück.
»Du hättest mit deinem Bruder fahren sollen«, sagte Jane an der Tür.
»Ja«, sagte Adrian leise. »Das habe ich nicht überlegt.« Er verabschiedete sich.
Als er gegangen war, trat Jane auf die Terrasse hinaus, mit dem Brief, den der Priester gebracht hatte. Sie hielt ihn Victor hin, konnte ihre Angst aber nicht verbergen. »Das hat ein Mann gebracht. Vor etwa drei Stunden. Er war ein Priester. Er sagte, er käme aus Rom.«
Victor blickte zu seiner Frau auf. Sein ausdrucksloser Blick sagte mehr als tausend Worte. »Warum hast du gewartet?«
»Weil es der Geburtstag deiner Söhne war.«
»Sie sind sich fremd«, sagte Fontine und nahm den Umschlag entgegen. »Es sind beide unsere Kinder, aber sie sind weit voneinander entfernt.«
»Das bleibt nicht so. Das ist der Krieg.«
»Hoffentlich hast du recht«, sagte Victor, öffnete den Umschlag und nahm den Brief heraus, mehrere Seiten. Die Schrift war klein, aber präzise. »Kennen wir einen Mann namens Aldobrini?«
»Wen?«
»Guido Aldobrini. So ist der Brief unterschrieben.« Fontine hielt ihr die letzte Seite hin.
»Ich glaube nicht«, antwortete Jane und setzte sich in den Stuhl, der neben ihm stand, blickte zum drohenden Himmel auf. »Kannst du in dem Licht sehen? Es wird dunkel.«
»Es reicht.« Victor begann zu lesen. Signore Fontini-Cristi:
Sie kennen mich nicht, obwohl wir uns vor vielen Jahren begegnet sind. Diese Begegnung hat mich den besseren Teil meines Lebens gekostet. Ich habe mehr als ein Vierteljahrhundert im Transvaal verbracht und Buße getan für einen Akt der Schande. Ich habe Sie selbst nicht berührt, aber ich habe zugesehen und meine Stimme nicht erhoben und Gnade für Sie erfleht, und das war zugleich unanständig und unheilig.
Ja, Signore, ich war einer der Priester, die mit Kardinal Donatti an jenem Abend nach Campo di Fiori kamen. Um unsere Mutter, die Kirche Christi auf Erden zu bewahren, hat der Kardinal uns davon überzeugt, daß es keine Gesetze Gottes oder der Menschen oder der Barmherzigkeit gab, die zwischen dem standen, was wir taten, und der Bewahrung der Kirche Gottes. Donattis Einfluß hat unsere ganze scholastische Ausbildung und unsere Gehorsamsgelübde - nicht nur gegenüber unseren Vorgesetzten, sondern auch vor der höchsten Autorität des Gewissens - verdreht. Ich habe fünfundzwanzig Jahre versucht, es zu verstehen, aber das ist eine andere Geschichte, und die ist hier nicht wichtig. Man müßte den Kardinal gekannt haben, um es zu begreifen.
Ich habe meinen Talar abgelegt. Die Krankheiten der afrikanischen Wälder haben ihren Tribut gefordert, und, Christus sei Dank, ich fürchte den Tod nicht. Denn ich habe, so gut ich konnte, gegeben. Ich bin geläutert und erwarte das Urteil Gottes.
Aber bevor ich vor das Antlitz unseres barmherzigen Herrn trete, gibt es eine Information, die ich Ihnen übermitteln muß. Denn sie jetzt zurückzuhalten, würde keine geringere Sünde sein als jene, für die ich heilige Buße getan habe. Das Werk Donattis dauert an. Ein Mann, einer der drei aus der Kirche ausgestoßenen Priester, die von den Zivilgerichten ins Gefängnis gesteckt wurden, ist freigelassen worden. Wie Sie vielleicht wissen, hat sich einer das Leben genommen, und der andere ist an natürlichen Ursachen im Gefängnis gestorben. Dieser dritte Mann überlebte und hat sich aus Gründen, die mein Begriffsvermögen übersteigen, erneut der Verfolgung der Dokumente von Saloniki hingegeben. Ich sage, daß seine Gründe mein Begriffsvermögen übersteigen, denn Kardinal Donatti ist in den höchsten Kreisen des Vatikans diskreditiert worden. Die griechischen Dokumente können der Heiligen Mutter Kirche kein Leid zufügen. Die göttliche Offenbarung kann nicht von bloßen sterblichen Menschen umgangen werden.
Dieser ausgestoßene Priester trägt den Namen Enrici Gaetamo, und er hat sich angewöhnt, den geistlichen Kragen zu tragen, den ihm ein apostolisches Dekret verwehrt. Soweit mir bekannt ist, haben die Jahre, die er in Haft verbracht hat, seine Seele nicht erleuchtet und ihm nicht die Wege eines barmherzigen Christus gezeigt. Im Gegenteil, man hat mir gesagt, er sei wie eine Reinkarnation
Weitere Kostenlose Bücher