1976 - Das Jesus-Papier
von einem Schaufenstervordach zum nächsten zu hetzen. Die Scheibenwischer reichten gerade aus, um die Wassermassen zu teilen, die das Glas bedeckten und jede Sicht versperrten.
Adrian saß auf dem Rücksitz eines Taxis, und seine Gedanken waren dreigeteilt, galten drei Menschen: Barbara, Dakakos und seinem Bruder.
Barbara war inzwischen in Boston und recherchierte wahrscheinlich in den Archiven der Bibliothek nach Informationen über die Zerstörung der Filioque-Verwerfung. Wenn jene alten Dokumente in der Kassette von Konstantin gewesen waren und es zweifelsfreie Beweise ihrer Zerstörung gab, war die Kassette dann gefunden worden? A gleich B gleich C. Daraus folgerte A gleich C. Oder folgerte das nicht?
Theodore Dakakos, der unermüdliche Anaxas, suchte inzwischen zweifellos die Hotels und Anwaltskanzleien Chicagos nach ihm ab. Es gab keinen Grund für den Griechen, das nicht zu tun. Eine Geschäftsreise nach Chicago war völlig normal. Die Ablenkung war alles, was Adrian brauchte. Er würde auf sein Zimmer gehen, sich seinen Paß holen und Andrew anrufen. Dann konnten sie beide Washington verlassen, ohne Dakakos ins Netz zu gehen. Sie mußten von der Annahme ausgehen, daß Dakakos sie aufzuhalten versuchte. Und das wiederum bedeutete, daß Dakakos -Anaxas - irgendwie wußte, was ihr Vater geplant hatte. Es war nicht schwer. Ein alter Mann kehrt nach Italien zurück, seine Lebenserwartung ist nur noch kurz, und er ruft seine zwei Söhne zu sich.
Einer jener Söhne war Adrians dritte Sorge. Wo war sein Bruder? Er hatte im Laufe der Nacht einige Male in Andrews Wohnung in Virginia angerufen. Was Adrian störte, und es fiel ihm nicht leicht, sich das einzugestehen, war, daß sein Bruder besser darauf eingerichtet war, sich mit jemandem wie Dakakos auseinanderzusetzen, als er das war. Zug und Gegenzug waren Teil seines Lebens, nicht These und Antithese.
»Garageneinfahrt«, sagte der Taxifahrer. »Wir sind da.«
Adrian rannte durch den Regen in die Garage der District Towers. Er mußte sich orientieren, ehe er auf den Lift zuging. Dabei griff er in die Tasche nach dem Schlüssel mit dem Plastikanhänger. Er hinterließ ihn nie am Empfang.
»Hi, Mr. Fontine. Alles klar?«
Das war der Garagenwärter. Adrian erinnerte sich unbestimmt an ihn. Ein fahlgesichtiger zwanzigjähriger Halbstarker mit den Augen eines Frettchens.
»Hello«, erwiderte Adrian und drückte den Liftknopf.
»Hey, nochmals danke schön. War wirklich nett, verstehen Sie? Ich meine, wirklich nett von Ihnen.«
»Sicher«, sagte Adrian ausdruckslos und wünschte, der Lift möge kommen.
Der Garagenwärter blinzelte ihm zu. »Heut sehen Sie aber viel besser aus als gestern. Richtig ein' draufgemacht, hm?«
»Was?«
Der junge Mann lächelte. Nein, es war kein Lächeln, ein Feixen. »Ich hab' auch einen gebechert. Klasse. Wie Sie's gesagt haben.«
»Was sagen Sie? Sie haben mich gestern abend gesehen?«
»Was soll das? Hamse's vergessen? Aber ich muß schon sagen, Sie waren wirklich voll, Mann.«
Andrew! Andrew brachte das fertig, wenn er wollte! Er brauchte bloß die Schultern etwas hängen zu lassen, einen Hut zu tragen und gedehnt zu sprechen. Dutzende Male hatte er diese Karikatur von ihm aufgeführt.
»Sagen Sie es mir, ich bin noch ein wenig verwirrt. Wann bin ich heimgekommen?«
»Richtig weg waren Sie. Gegen acht, erinnern Sie sich nicht? Sie haben mir...« Der Garagenwärter hielt inne, seine Habgier hielt ihn am Zügel.
Die Lifttüren öffneten sich. Adrian trat ein. Andrew hatte ihn also aufgesucht, während er versucht hatte, ihn in Virginia zu erreichen. Hatte Andy von Dakakos erfahren? Hatte er die Stadt bereits verlassen? Vielleicht war Andy jetzt oben. Wieder eine beunruhigende Erkenntnis, aber Adrian empfand gleichzeitig eine gewisse Erleichterung. Sein Bruder würde wissen, was zu tun war.
Adrian ging den Korridor hinunter zur Tür seiner Suite und schloß auf. Als er die Tür hinter sich ins Schloß zog, hörte er Schritte. Er fuhr herum und sah einen Offizier der Army unter der Schlafzimmertür stehen. Nicht Andrew, sondern ein Colonel.
»Wer, zum Teufel, sind Sie?«
Der Offizier gab nicht gleich Antwort, sondern stand reglos da und musterte ihn grimmig. Als er schließlich sprach, klang seine Stimme gedehnt und kalt.
»Sie sehen so aus wie er. Man brauchte Sie bloß in Uniform zu stecken und ein wenig aufzurichten, dann könnten Sie es sein. Jetzt brauchen Sie mir bloß noch zu sagen, wo er ist.«
»Wie sind Sie
Weitere Kostenlose Bücher