1976 - Das Jesus-Papier
ebenso voll und ganz wollte, wie er sie wollte. Die Spannung übertrug sich auf ihre Körper, und nur der Akt der Liebe würde sie lösen. Und doch verlangte der unbändige Drang in ihnen nicht nach Schnelligkeit. Statt dessen hielten sie einander eng umschlungen, lagen auf dem Bett und erforschten einander mit Zärtlichkeit und wachsender Begierde. Und während ihre Erregung stieg, flüsterten sie zärtliche Worte.
O Gott, wie er sie liebte!
Sie lagen nackt unter den Laken, ausgepumpt, leer. Sie stützte sich auf die Ellbogen, griff über ihn, berührte seine Schulter und fuhr mit den Fingern an seinem nackten Körper hinunter bis zu seinen Schenkeln. Ihr dunkles Haar fiel über seine Brust, und dahinter, unter ihrem zart geschnittenen Gesicht und den durchdringenden blauen Augen, waren ihre Brüste über ihm. Er bewegte die rechte Hand und griff nach ihr, ein Signal, daß der Akt der Liebe aufs neue beginnen würde. Und plötzlich kam es Vittorio Fontini-Cristi in den Sinn, daß er diese Frau nie wieder verlieren wollte.
»Wie lang kannst du in Loch Torridon bleiben?« fragte er und zog ihr Gesicht herunter zu dem seinen.
»Du bist ein ganz abscheulicher Verderber nicht so junger Mädchen«, flüsterte sie und lachte leise an seinem Ohr. »Ich befinde mich augenblicklich in einem Zustand erotischer Erregung, und die Erinnerung an Donnerschläge und erogene Freuden durchzucken meine privatesten... Und du fragst mich, wie lange ich bleiben kann! Auf immer und ewig natürlich. Bis ich in drei Tagen nach London zurückkehre.«
»Drei Tage! Das ist besser als vierundzwanzig Stunden.«
»Wozu? Um aus uns beiden zwei plappernde Idioten zu machen?«
»Wir werden heiraten.«
Jane hob den Kopf und sah ihn an. Sie sah ihn eine lange Zeit an, ehe sie sprach, und dabei hielt ihr Blick ihn fest. »Du hast viel Leid mitgemacht. Und schreckliche Verwirrung.«
»Du willst mich nicht heiraten?«
»Mehr als mein Leben, mein Geliebter. Gott, mehr als die ganze Welt... «
»Aber du sagst nicht ja?«
»Ich gehöre dir. Du brauchst mich nicht zu heiraten.«
»Ich will dich heiraten! Ist das unrecht?«
»Das ist das Rechteste, was ich mir vorstellen kann. Aber du müßtest sicher sein.«
»Bist du sicher?«
Sie legte ihre Wange an die seine. »Ja. Du bist es. Du mußt sicher sein.«
Mit seinen Händen schob er ihr weiches, dunkles Haar von ihrem Gesicht und antwortete ihr mit seinen Augen.
Botschafter Anthony Brevourt saß in seinem viktorianischen Arbeitszimmer hinter dem riesigen Schreibtisch. Es war beinahe Mitternacht. Das Haus schlief, London lag in Dunkelheit. Überall warteten Männer und Frauen auf Dächern, auf dem Fluß und in den Parks und sprachen leise in Funkgeräte, beobachteten den Himmel.
Sie alle warteten auf die Belagerung, von der sie wußten, daß sie kommen würde, aber noch nicht angefangen hatte.
Es war eine Frage von Wochen, das wußte Brevourt, das prophezeiten die Akten. Aber er konnte sich einfach nicht auf die Schrecken konzentrieren, die ebenso unvermeidbar die Geschichte neu formen würden, wie die Ereignisse drängten. Ihn verzehrte eine andere Katastrophe. Eine Katastrophe, die weniger unmittelbar dramatisch war, aber in vieler Hinsicht nicht weniger tiefgreifend. Der Aktendeckel, der vor ihm lag, enthielt sie.
Er starrte die handgeschriebene Codebezeichnung an, die er für sich selbst geschaffen hatte. Für sich und einige wenige -sehr wenige - andere.
SALONIKI
Das las sich so einfach und doch war seine Bedeutung so kompliziert.
Wie, in Gottes Namen, hatte es geschehen können? Was hatten sie sich gedacht? Wie konnte es sein, daß die Bewegung eines einzelnen Güterzuges, der ein halbes Dutzend Nationalgrenzen überschritt, überhaupt nicht nachzuvollziehen war? Der Schlüssel mußte bei dem Subjekt liegen.
In einer verschlossenen Schublade seines Schreibtisches klingelte ein Telefon. Brevourt sperrte die Schublade auf und zog sie heraus. Er nahm den Hörer ab.
»Ja?«
»Loch Torridon«, hallte es ausdruckslos aus dem Hörer.
»Ja, Loch Torridon? Ich bin allein.«
»Das Subjekt hat gestern geheiratet. Die Kandidatin.«
Brevourt stockte einen Augenblick lang der Atem. Dann atmete er tief ein. Die Stimme am anderen Ende der Leitung sprach weiter. »Sind Sie da, London? Hören Sie mich?«
»Ja, Torridon. Ich habe gehört. Das ist mehr, als wir uns hätten erhoffen können, nicht wahr? Ist Teague zufrieden?«
»Eigentlich nicht. Ich glaube, er hätte eine bequeme Beziehung
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