1976 - Das Jesus-Papier
ließ sich in den Sitz zurücksinken. Victor drehte sich um. Das Münchner Kontingent wurde sichtbar.
Es waren drei Wehrmachtsoffiziere und eine Frau. Sie waren betrunken. Die Frau trug einen hellen Tuchmantel. Sie wurde von zwei der Offiziere durch die schmale Tür geschoben und vom dritten in einen Sitz gedrückt. Sie widersetzte sich nicht; vielmehr lachte sie und schnitt eine komische Grimasse. Ein williges Spielzeug.
Sie war Ende der Zwanzig, von angenehmem Äußeren, aber nicht attraktiv. Ihr Gesicht hatte etwas Hektisches, einen Zug, der sie etwas abgenützt wirken ließ. Ihr hellbraunes, vom Wind zerzaustes Haar war etwas zu dick; es hatte sich im Wind nicht gelöst. Die Mascara um ihre Augen war zu auffällig, der Lippenstift zu rot, das Rouge zu kräftig.
»Was interessiert Sie denn so?« Die Frage übertönte das Brausen der anschwellenden Motoren. Der dritte Offizier hatte gesprochen, ein breitschultriger, muskulöser Mann Mitte der Dreißig. Er war an seinen zwei Kameraden vorbeigegangen und sprach Victor an.
»Tut mir leid«, sagte Fontine mit einem schwac hen Lächeln. »Ich wollte nicht unhöflich sein.«
Der Offizier kniff die Augen zusammen. Er war auf Streit aus, das war nicht zu übersehen. »Das ist vielleicht ein komischer Typ. Hört euch das Bürschchen an!«
»Ich wollte Sie nicht beleidigen.«
Der Offizier drehte sich zu seinen Kameraden um. Einer hatte sich die Frau, die ihm keinen Widerstand leistete, auf den Schoß gezogen, der andere hatte den Gangsitz eingenommen. »Das Bürschchen wollte uns nicht beleidigen! Ist das nicht nett?«
Die zwei anderen Offiziere lachten spöttisch. Die Frau lachte etwas zu hysterisch, wie Victor fand. Er drehte sich nach vorn und hoffte, daß der Flegel weitergehen würde.
Statt dessen griff eine riesige Hand über die Sitzlehne und packte ihn an der Schulter. »Das genügt nicht.« Der Offizier sah Lübok an. »Setzt euch nach vorn, ihr beiden.«
Lüboks Augen suchten die Victors. Die Botschaft war klar. Tun Sie, was der Mann verlangt.
»Sicher.« Fontine und Lübok standen auf und gingen nach vorn. Keiner sagte etwas. Fontine konnte hören, wie Flaschen entkorkt wurden.
Das Fest hatte begonnen.
Die Fokker raste die Startbahn hinunter und hob ab. Lübok hatte den Sitz an der Gangseite genommen und Victor den Fensterplatz überlassen. Er richtete seine Augen zum Himmel, zog sich gleichsam in eine Art Kokon zurück und hoffte, damit ein Gefühl der Leere zu erzeugen, das die Reise nach Mühlheim schneller verstreichen lassen würde. Sie konnte gar nicht schnell genug verstreichen.
Aber das Gefühl der Leere wollte sich nicht einstellen. Statt dessen mußte er unwillkürlich an den Xenope-Priester in dem unterirdischen Tunnel im Casimir denken.
Weshalb reisen Sie mit Lübok? Er arbeitet für Rom.
Lübok.
Wir sind nicht Ihre Feinde. Um der Barmherzigkeit Gottes willen, bringen Sie uns die Dokumente.
Saloniki. Es lag nie weit entfernt. Die Kassette von Konstantin war imstande, gewaltsam Männer in zwei Lager zu teilen, die gegen einen gemeinsamen Feind kämpften.
Er hörte Gelächter aus dem hinteren Teil der Kabine, dann ein Flüstern unmittelbar hinter sich.
»Nein, nicht umdrehen. Bitte.« Das war die Stimme des Stewards, kaum durch den schmalen Spalt zwischen den Sitzen zu hören. »Stehen Sie nicht auf. Das sind Kommandos. Die haben gerade Dampf abgelassen. Achten Sie bitte nicht auf sie. Tun Sie so, als wäre nichts!«
»Kommandos?« flüsterte Lübok. »In München? Die sind doch im Norden stationiert, an der Ostsee.«
»Diese nicht. Sie operieren in den Bergen, in den italienischen Sektoren. Exekutionsteams. Es gibt viele...«
Die Worte trafen ihn wie ein lautloser Donnerschlag. Victor atmete tief ein. Seine Bauchmuskeln strafften sich, wurden hart wie Stein.
Exekutionsteams...
Er klammerte sich an den Armlehnen seines Sitzes fest und drückte das Rückgrat durch. Er preßte sich in den Sitz, streckte den Hals und sah über den Metallrand der Kopfstütze nach hinten. Er traute seinen Augen nicht.
Die Frau mit den wilden Augen lag auf dem Boden, das Jackett offen. Sie war nackt, abgesehen von ihrer zerfetzten Unterwäsche, ihre Beine waren gespreizt, und ihre Hüften bewegten sich. Ein Wehrmachtsoffizier, der sich Hose und Unterhose bis zu den Knien heruntergezogen hatte, lag auf ihr. Über dem Kopf der Frau kniete ein zweiter Offizier. Er hielt die Frau am Haar gepackt und richtete sein Glied auf ihr Gesicht; sie öffnete den
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