1976 - Das Jesus-Papier
sagte Victor hastig.
»Um Ihre Fragen zu beantworten: Hauptmann Hans Neumann ist ein treuer Offizier des Reichs mit einem Vetter bei der Gestapo. Oberst Schneider stand nicht auf der Dienstliste; das fiel mir auf. Wir wußten, daß es eine Falle war. Ganz ehrlich gesagt, haben wir nicht damit gerechnet, Sie im Tunnel zu finden. Das war schieres Glück. Wir waren zu Block sieben unterwegs.« Lübok wandte sich seinen Kameraden zu. Er sprach zuerst polnisch und übersetzte dann für Fontine. »Wir bleiben eine Viertelstunde hier. Das sollte reichen. Dann gehen wir zu dem Treffpunkt in Block sieben. Sie werden Ihr Geschäft planmäßig abwickeln.«
Fontine packte Lübok am Arm und führte ihn ein paar Schritte von den Podziemna-Männem weg. Zwei der Männer hatten ihre Taschenlampen eingeschaltet. Das Lic ht reichte aus, um das Gesicht des Kuriers zu sehen, und dafür war Victor dankbar.
»Das war keine deutsche Falle. Diese Männer dort hinten waren Griechen. Einer war Priester.« Fontine flüsterte, aber seine ganze Haltung ließ keinen Zweifel daran, wie ernst er es meinte.
»Sie sind verrückt«, sagte Lübok beiläufig, ohne eine Miene zu verziehen.
»Sie kamen von Xenope.«
»Von was?«
»Sie haben mich gehört.«
»Ich habe Sie gehört, aber ich habe nicht die leiseste Idee, wovon Sie reden.«
»Verdammt noch mal, Lübok! Wer sind Sie?«
»Für viele Leute so manches, dem Himmel sei Dank.«
Victor packte den blonden Tschechen an den Rockaufschlägen. Lüboks Augen schienen plötzlich in weite Ferne zu blicken, kalter Zorn leuchtete aus ihnen. »Die haben gesagt, Sie arbeiten für Rom. Sie würden Angebote nach Rom weiterleiten! Was für Angebote? Was soll das bedeuten?«
»Ich weiß nicht«, erwiderte der Tscheche langsam.
»Für wen arbeiten Sie?«
»Ich arbeite für viele Leute. Gegen die Nazis. Das ist alles, was Sie wissen müssen. Ich sorge dafür, daß Sie am Leben bleiben und Ihre Verhandlungen abschließen. Wie ich das tue, geht Sie nichts an.«
»Sie wissen nichts über Saloniki?«
»Das ist eine Stadt in Nordgriechenland. Und jetzt nehmen Sie Ihre Hände weg.«
Fontine lockerte seinen Griff, ließ aber nicht locker. »Nur für den Fall - für den Fall, daß unter den vielen Leuten, von denen Sie sprechen, auch Männer sind, die sich für diesen Zug aus Saloniki interessieren. Ich weiß nichts, ich habe nie etwas gewußt.«
»Wenn das Thema je zur Sprache kommt, und ich kann mir nicht vorstellen, weshalb es das sollte, werde ich die Information weiterleiten. Können wir uns jetzt wieder auf Ihre Verhandlungen in Warschau konzentrieren? Wir müssen sie heute abend abschließen. Für morgen früh sind Vorkehrungen getroffen, daß zwei Kuriere mit der Militärmaschine nach Berlin fliegen. Ich werde mich selbst vor Tagesanbruch auf dem Flugplatz umsehen.
Wir steigen in Mühlheim aus. Das ist in der Nähe der französischschweizerischen Grenze, eine Nachtfahrt von Montbeliard entfernt. Ihr Auftrag in Europa ist abgeschlossen.«
»Hinausfliegen?« Victor ließ den anderen los. »Mit einer deutschen Maschine?«
»Dank einem sehr beunruhigten deutschen Offizier in Warschau. Er hat zu viele Filme gesehen, in denen er eine prominente Rolle spielte. Schiere Pornographie.«
11
LUFTKORRIDOR MÜNCHEN WEST
Die dreimotorige Fokker stand auf der Rollbahn, während die Motoren von den Bodenmannschaften überprüft und die Tanks aufgefüllt wurden. Sie waren in München. Warschau hatten sie am frühen Morgen verlassen und eine Zwischenlandung in Prag eingelegt. Die meisten Passagiere waren in München ausgestiegen.
Nächste Station war Mühlheim, die letzte Etappe ihrer Reise. Victor saß unbequem neben einem scheinbar entspannten Lübok in der ruhigen Kabine des Flugzeugs. Es gab noch einen weiteren Passagier: einen älteren Unteroffizier auf Urlaub, der nach Stuttgart unterwegs war.
»Mir wäre es lieber, wenn es noch ein paar Anhalter gäbe«, flüsterte Lübok. »Bei so wenig Passagieren kann es sein, daß der Pilot verlangt, daß in Mühlheim alle an Bord bleiben. Dann könnte er schneller auftanken und weiterfliegen. Die meisten Passagiere nimmt er in Stuttgart auf.«
Schritte auf der Metalltreppe vor dem Flugzeug unterbrachen ihn. Lautes, ungezügeltes Gelächter begleitete das unregelmäßige Klappern und wurde lauter, als die neuen Passagiere sich der Kabinentür näherten. Lübok sah Fontine an und lächelte erleichtert. Er wandte sich der Zeitung zu, die man ihnen gereicht hatte, und
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