198 - In der Spiegelwelt
Vampir, von dem sie wisse, daß er sich tagsüber nicht an einen finsteren Ort zurückziehen müsse. Selbst grellstes Sonnenlicht könne ihm nichts anhaben, und deshalb wäre er doppelt gefährlich.
Es war tatsächlich nicht weit bis zur Quelle. Kristallklares Wasser sprudelte aus einem Felsen und füllte ein steinernes Becken.
Während Agassmea gierig ihren Durst löschte, blickte sich Orasya ängstlich um. Sie rechnete damit, daß Navupar von ihrem Eindringen in sein Jagdrevier wußte. Der grausame Blutsauger war bekannt dafür, daß er solche Gelegenheiten nicht ungenützt ließ. In seinen Augen mußten zwei solche Schönheiten ein besonders verlockender Leckerbissen sein.
Der Wald bildete ein dichtes Laubdach, das keinen Sonnenstrahl durchließ. Ewige Düsternis herrschte hier. Verständlich, daß sich Navupar in seinem Revier besonders wohl fühlte.
Grelles Licht konnte ihm zwar nichts anhaben, aber er liebte es trotzdem nicht. Diese Abneigung gehörte einfach zum Verhaltensmuster eines Blutsaugers.
Orasya vermeinte, zwischen den Bäumen eine rasche Bewegung wahrzunehmen. Sie zuckte wie unter einem Stromstoß zusammen und zog die Luft geräuschvoll ein. Agassmea war sofort alarmiert und richtete sich auf. Wasserperlen glitzerten auf ihrem makellosen Gesicht mit den edlen Linien.
»Was ist?« fragte sie.
»Ich… bin nicht sicher, aber ich… glaube, er kommt«, flüsterte Orasya. »Hast du ihn gesehen?«
»Ja. Ich denke schon. Er ist sehr schnell, und wenn er stillsteht, kann man ihn vom schwarzen Stamm eines Baumes kaum unterscheiden.«
Die Tigerfrau wischte sich das Wasser vom Gesicht und entschied: »Wir gehen.«
»Er wird uns folgen.«
»Das kann er getrost«, beruhigte Agassmea das ängstliche Mädchen. »Bleib dicht neben mir. Er wird es nicht wagen, uns anzugreifen.«
»Wenn man erst mal seine Gier geweckt hat, ist man auch außerhalb des Waldes nicht mehr vor ihm sicher. Selbst über weite Strecken folgt er seinen Opfern, und er schlägt zu, wenn man am wenigsten damit rechnet.«
»Du zeigst mir den kürzesten Weg zur schwarzen Wolkenburg der Grausamen 5, und ich beschütze dich dafür vor dem Vampir«, sagte Agassmea lächelnd.
***
In New York erwartete mich mein amerikanischer Freund Noel Bannister. Er bleckte sein Pferdegebiß, lachte laut und schlug mir, erfreut über das Wiedersehen, herzhaft auf die Schulter. Er wußte, daß ich Boram mitgebracht hatte, obwohl der Nessel-Vampir nicht zu sehen war. Ich hatte es angekündigt, und Noel sprach in die Luft: »Hi, Boram, alte Dampfnudel!«
Der CIA-Agent schleuste mich durch einen Sonderausgang. Nicht einmal VIPs oder Diplomaten kamen hier durch. Er war für Geheimdienstleute reserviert, und ich war ja - wie bereits erwähnt - in lockerer Form mit der CIA verbunden.
Noels abhörsicherer Wagen, zu dem wir nun gingen, wies einige brauchbare Extras auf. Unter anderem konnte man durch den Kühlergrill MPi-Salven schießen. Selbstverständlich waren die Geschosse so präpariert, daß man sie gegen Höllenwesen wirksam einsetzen konnte. Außerdem verfügte das Auto über Hochgeschwindigkeitsreifen, und der Motor war bis an die Grenze des Möglichen frisiert.
Das CIA-Vehikel war eine gepanzerte Festung - jedoch nicht eigens für den Einsatz gegen Cayooda gebaut, das war klar.
»Neuigkeiten?« fragte ich, als Noel Bannister losfuhr.
»Cayooda betreffend?« fragte mein amerikanischer Freund zurück. »Nein, zum Glück nicht.«
Noel wollte wissen, was es in England Neues gab. Ich erzählte ihm von den umwälzenden Entwicklungen der jüngsten Vergangenheit. Zum Beispiel, daß Oda und Lance Selby wieder ein Paar waren und Yora die Seiten gewechselt hatte, also nicht mehr unsere Erzfeindin war.
»Yora auf der Seite des Guten? Das ist ein Hammer!« sagte Noel Bannister beeindruckt.
»Vielleicht brauchen wir uns auch bald um Frank Esslin keine Sorgen mehr zu machen«, fuhr ich fort.
»Sag bloß, ihr habt eine Möglichkeit gefunden, ihn umzudrehen.«
»Wir wollen ihn nicht umdrehen, sondern auswechseln«, erklärte ich dem CIA-Agenten.
»Wie das?«
»Es gibt Frank Esslin in der Spiegelwelt noch einmal - und zwar den guten Frank Esslin!«
»Soviel mir bekannt ist, wird die Spiegelwelt gut bewacht, da kommt man nicht so einfach rein.«
»Roxane hat - gewissermaßen - eine Hintertür entdeckt. Wenn du nicht angerufen und gesagt hättest, daß du mich hier brauchst, wäre ich jetzt mit ihr und Mr. Silver in der Spiegelwelt.«
»Du machst mir ein
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