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198 - Sohn und Dämon

198 - Sohn und Dämon

Titel: 198 - Sohn und Dämon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Zybell
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beruhigte Daa’tan ein wenig. Er streichelte ihr Haar.
    Was ihn ganz und gar nicht beruhigte, waren die vielen Wunden, die ihr Gesicht, ihre Schulter und ihre Arme übersäten. An ihrer Stirn klaffte eine Platzwunde, an Armen und Schulter bluteten zahlreiche Schürfwunden, und ihre Unterlippe war aufgeplatzt. »Wer hat dir das angetan?«, zischte er. »Er soll dafür bezahlen!« Er ballte die Fäuste und knirschte mit den Zähnen.
    Zuletzt untersuchte er ihre linke Hand – und entdeckte die Verstümmelung. »Bei Daa’murs Glutmeeren…!« Fassungslos betrachtete er den Finger. Zwar fehlte ihm nur das oberste Glied, doch Daa’tan schnürte es das Herz zusammen, als hätte man seiner Mutter die Hand abgeschlagen. »Verflucht soll er sein, der dir das zugefügt hat! Verfaulen sollen ihm die…!«
    Er verstummte, weil er merkte, dass er laut wurde. Er lauschte – doch draußen vor dem Zelt blieb alles ruhig. Das Lager war noch nicht erwacht.
    Mühsam bezwang er Schmerz und Zorn in seinem Herzen, schloss die Hände um die Linke seiner Mutter und küsste den verstümmelten kleinen Finger. Seine Tränen nässten die schmale aber kräftige Frauenhand.
    Daa’tan blickte sich um. Die vier schwarzen Krieger rührten sich nicht mehr. Der Alten mit dem Turban zuckte mit den Lidern. Neben ihm entdeckte Daa’tan eine weiße Truhe mit einer roten Mondsichel auf dem Deckel. Er öffnete den Deckel.
    »Also doch«, flüsterte er, als er den Inhalt der Truhe sah.
    »Wir sind im Zelt eines Heilers.« Lauter Ledersäckchen mit Heilkräutern füllten die Truhe. Auf der Innenseite des Deckels waren Instrumente mit Lederschnüren befestigt: Pinzetten, kleine Zangen, scharfkantige Löffel, winzige Messer, zwei Scheren, viele Nadeln und drei Spritzenkolben verschiedener Größen.
    Die meisten dieser Instrumente hatte Daa’tan nie zuvor in seinem kurzen Leben gesehen. Dennoch kannte er die Funktion jedes einzelnen. Er wunderte sich nicht darüber, er nahm es als selbstverständlich hin wie so vieles, das er ohne nachzudenken wusste und kannte, seit in jenem geheimnisvollen Dorf der Myzelienpilz mit seinen Fadenzellen ihn befallen hatte.
    Ein Säckchen nach dem anderen holte er heraus und roch an seinem Inhalt. Endlich fand er ein Pulver, von dem er instinktiv wusste, dass es Wunden heilen konnte; zumal dann, wenn er es mit seinen floriden Kräften potenzieren würde.
    Er schüttete ein paar Prisen des ockergelben Pulvers in seine hohle Linke und legte das Säckchen zurück in die Truhe.
    Während er sich auf das Pulver in seiner Handfläche konzentrierte, sammelte er Speichel im Mund.
    Schließlich spuckte auf das Pulver und verrührte Speichel und Heilsubstanz mit dem Stil eines Löffels, den er dem Truhendeckel entnahm. Der Brei in seiner hohlen Hand warf Blasen und brodelte. Dampf stieg von ihm auf.
    Daa’tan tauchte den Zeigefinger der Rechten in den warmen Brei, beugte sich über seine Mutter und strich den Pflanzensud auf die Platzwunde an ihrer Stirn, auf ihre aufgeplatzte Lippe und schließlich auf die zahlreichen Schürfwunden.
    Während er die Hände in einer Wasserschüssel wusch, beobachtete er, wie die Wunden sich schlossen und der Brei auf ihnen sich rotbraun verfärbte und aushärtete. Für kurze Zeit noch würde er als Wundpflaster dienen, bevor er von allein abbröselte.
    Aufmerksam betrachtete er den verstümmelten kleinen Finger an der linken Hand seiner Mutter. Allein mit in Speichel gelöstem Heilpulver würde er dem Stumpf nicht beikommen.
    Nachdenklich betrachtete er die Instrumente im Deckel der weißen Truhe. Ein Wissen, das tief in ihm ruhte, stieg in sein Bewusstsein. Er band die Schere los, riss dem bewusstlosen Alten den Turban von seinem Schädel und schnitt einen langen Streifen und ein annähernd quadratisches Tuch aus dem Stoff.
    Mit dem Streifen band er sich selbst den linken Arm ab, das Tuch legte er unter die linke Hand seiner Mutter. Danach wählte er die feinste der Silberkanülen aus, setzte sie auf die Spritze, entnahm etwas Blut aus der gestauten Vene seiner Ellenbeuge und löste den Knoten in der Binde um seinen Oberarm wieder.
    Sorgfältig tastete er nach der pulsierenden Arterie am linken Handgelenk seiner Mutter. Dort hinein, nicht in eine Vene, wollte er sein Blut injizieren. Es sollte sofort und in größtmöglicher Konzentration in die Finger strömen und nicht erst den langen Weg durch das Gefäßsystem seiner Mutter antreten, wobei es sich tausendfach verdünnt hätte.
    Er straffte die

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