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198 - Sohn und Dämon

198 - Sohn und Dämon

Titel: 198 - Sohn und Dämon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Zybell
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rötlich-violette Blütendolde, lang gestreckt wie eine Kerze, voller wabenartiger Blütenblätter – oder waren es Beeren? – und eingehüllt von feinen braungrünen Fasern, wie von einem Bart oder einem Haarschopf.
    Sein Brustkorb hatte die Form einer Kugel, und die Kugel war türkisfarben und sah aus wie der überdimensionale Zapfen einer Pinie. Zahllose Arme wuchsen wie Lianententakel aus den einzelnen Facetten des Kugelzapfens, die stärksten neben dem Doldenschädel aus den Schultern. Die Arme waren türkisfarben an den Stellen, an denen sie aus dem zapfenartigen Brustkorb ragten, gingen erst in dunkles Grün über, wurden nach und nach lindgrün und endeten in vielgliedrigen gelben Fingern. Finger und Arme waren zwischen einem und fünf Metern lang. Die Gelenke der Arme und der vielen Finger wirkten rindenartig und holzig braun.
    Der Unterkörper des Wesens erinnerte Aruula an die äußere Hülle einer Artischocke, nur dass die Schuppen größer waren und bunt. Gelb und grün und rot dominierten. Der Unterleib ging in eine Anzahl von Beinen über, die Aruula nicht bestimmen konnte. Waren es drei oder dreißig? Oder veränderte sich die Zahl mit jedem Schritt, den das Wesen sich ihr näherte? Einige Beine sahen aus wie alte gebogene Bambushalme, andere wie der dornige Stiel einer Rose, wieder andere erinnerten Aruula an den Stamm einer jungen Kiefer.
    Füße konnte sie nicht erkennen. Sie suchte vergeblich nach Zehen und Knöcheln, und je genauer sie hinsah, desto unwahrscheinlicher erschien es ihr, dass dieses Wesen überhaupt so etwas wie Füße hatte. Löste es seine Beine denn vom Boden? So konzentriert sie die Bewegungen des Wesens auch beobachtete – sie konnte diese Frage nicht beantworten.
    Eines allerdings war gewiss: Dieses fremdartige Wesen, das da aus dem Wald auf sie zukam, war nicht böse im eigentlichen Sinne. Woher ihr diese Gewissheit zuwuchs, das vermochte Aruula nicht zu sagen.
    Fünf oder sechs Schritte vor ihr blieb das Wesen stehen. Es war groß, fast acht Meter; doch ständig änderte es seine Größe, wuchs und schrumpfte mit jedem Atemzug. Jetzt, wo es so ruhig vor ihr stand, kam es ihr vor wie ein exotischer Baum.
    Die Pflanzenfasern auf seinem Blütendoldenschädel schimmerten silbrig im Sonnenlicht und wogten im milden Sommerwind. Seine Arme erschienen Aruula jetzt wie das dichte Geäst einer Weide. Seine stämmigen Beine endeten einen knappen Meter über dem Boden und gingen in Wurzelstränge über, die sich im Umkreis von mindestens zehn Schritten im Unterholz verloren.
    »Wer bist du?«, fragte das Wesen. Aruula sah keine Lippen, die sich bewegt hätten, sie hörte diese Frage dennoch. Klar und deutlich stand sie in ihrem Bewusstsein.
    »Aruula von den Dreizehn Inseln«, antwortete sie. »Und wer bist du?«
    »Die einen nannten mich ›Protobioorganisation der Alphaordnung‹«, sagte das Wesen, »die anderen nannten mich ›Pflanzengott‹.«
    »Und du?«, fragte Aruula. »Wie nennst du selbst dich?«
    »Ich nenne mich ›ich‹«, sagte das Wesen, »und manchmal, wenn ich mit mir selbst rede, nenne ich mich GRÜN.«
    »Warum begegnen wir uns hier?«, wollte Aruula wissen.
    »Was für eine Frage…!« Es kam ihr vor, als würde das Wesen lachen. »Es ist doch nicht das erste Mal, dass wir uns begegnen!«
    »Bitte?« Aruulas Verwirrung wuchs. »Ich verstehe nicht… ich habe dich nie zuvor gesehen! Ich kenne dich nicht…!«
    »O doch, Menschin«, widersprach das Wesen, und es schien Aruula, als würde der Blütendoldenschädel sich spreizen und eine tiefblaue Färbung annehmen. »Du kennst mich besser, als die meisten Kreaturen dieses Planeten mich kennen.«
    »Das ist nicht wahr!« Aruula schüttelte energisch den Kopf.
    »Ich kenne dich nicht! Was habe ich mit dir zu schaffen?« Auf einmal war ihr unheimlich zumute, und eine Gänsehaut nach der anderen kroch über ihren Nacken, ihre Schultern, ihre Oberarme.
    »Sehr viel«, sagte das Wesen, das sich GRÜN nannte, und wieder schien es zu lachen. »Dieser da ist unser Sohn.«
    Das war der Moment, in dem Aruula zu Tode erschrak. Der Atem stockte ihr, und sie hatte das sichere Gefühl, sich unwiderruflich in einen Stein zu verwandeln. Obwohl sie keine Augen im Blütendoldenschädel GRÜNs erkennen konnte, wusste sie, dass er an ihr vorbei blickte.
    Sie wollte in die gleiche Richtung schauen, hinter sich blicken – doch es bereitete ihr unendliche Mühen, sich herumzudrehen. Ihr Kopf schien einbetoniert zu sein, so langsam

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