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198 - Sohn und Dämon

198 - Sohn und Dämon

Titel: 198 - Sohn und Dämon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Zybell
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trug seine Mutter zum Wasserloch, legte sie vorsichtig im Gras an seinem Rand neben dem gierig saufenden Malala ab und schöpfte Wasser mit der hohlen Hand. Er versuchte ihr ein wenig davon einzuflößen, und tatsächlich schluckte sie, was er ihr zwischen die trockenen Lippen träufelte.
    Erst jetzt beugte er selbst sich über das Wasser, steckte seinen Kopf hinein und trank.
    Danach legte er sich seine Mutter wieder über die Schulter und schleppte sie zum Felsen. Auf seiner Oberseite würde er vor dem Raubtier in Sicherheit, sein. Er fand eine Stelle, die wie ein steiler Kamin in das Gestein hinein und nach oben führte. Dort begann er mit dem Aufstieg.
    Aruulas Gewicht drückte ihn schwer nieder. Er versuchte nicht daran zu denken und rief sich, um sich abzulenken, Bilder der Erinnerung aus den letzten Monaten ins Gedächtnis.
    Er dachte an die Geisterstadt Hollow Creek, wo ein Wurm mit Hut und Mantel ihn gefragt hatte, ob er Schafe scheren könnte. Er dachte an das Pilzgeflecht, das versucht hatte, ihn zu zersetzen, und dem er zugleich all das Wissen verdankte, das seine Myzelien von den menschlichen Opfern von Hollow Creek aufgenommen und an ihn weitergegeben hatte. Er dachte an den Kampf mit den Reddoas, an seine Gefangenschaft bei ihnen, und an die grimmige Genugtuung, die er verspürt hatte, als das Dorf in Flammen aufging. Er erinnerte sich, wie er an Grao’sil’aanas Seite auf dem Riesenrochen Thgáan gelegen hatte und zum Uluru geflogen war.
    »Grao’sil’aana«, murmelte er. »Es wird höchste Zeit, dass du zurückkehrst…« Er begann mit dem Daa’muren zu hadern, während er sich Meter für Meter den Felskamin hinaufarbeitete. »Was denkst du dir eigentlich dabei, mich so lange allein zu lassen? Du bist doch mein Beschützer und Lehrer! Lässt man da seinen Schüler so lange allein? Wann kommst du endlich zurück, verdammt noch mal…?«
    In zwanzig Höhenmetern erreichte er ein kleines Plateau.
    Dort verließ ihn endgültig die Kraft. Er legte den leblosen Körper seiner Mutter auf dem Fels ab und verschnaufte erst einmal ein paar Minuten lang.
    Irgendwann beugte er sich über den reglosen Körper und streichelte Stirn und Wangen der Bewusstlosen. Aruula atmete inzwischen unruhiger, ihre Arme zuckten und sie schluckte.
    Die Augäpfel hinter ihren Lidern bewegten sich ruckartig; sie schien unruhig zu träumen. Daa’tan schöpfte Hoffnung: Nicht mehr lange und sie würde aus ihrer Ohnmacht erwachen.
    »Ich bin bei dir, geliebte Mutter«, flüsterte er. »Ich passe auf dich auf, ich beschütze dich.« Er küsste sie auf die Stirn. »Ich bin nicht wie Grao, dieser treulose Salamander! Ich verlasse dich nie mehr…« Noch einmal strich er ihr über die Wange, dann wandte er sich ab.
    Auf den Knien kroch er an den Rand des kleinen Felsplateaus und spähte nach Norden, in die Richtung, aus der er gekommen war. Der Uluru war nur noch ein rotbrauner, verwaschener Fleck zwischen Horizont und fahlem Himmel.
    Doch die große Staubwolke näherte sich immer rascher, und das Tier vor ihr war so groß, dass Daa’tan der Atem stockte.
    Es gefiel ihm nicht, was er da sehen musste. Warum wusste er nichts von solchen Giganten? Hatten die Menschen, deren Gedächtnisinhalte mit den Fadenzellen des Pilzes auf ihn übergegangen waren, nie von solchen Monstren gehört? Und warum hatte Grao’sil’aana ihm nie von derartigen Riesentieren erzählt?
    Das gigantische Tier und die Staubwolke waren schnell bis auf weniger als einen Kilometer heran. Allmählich erfasste Daa’tan die wahren Ausmaße des Monsters – es war so groß wie eine vierstöckige Ruine! Und jetzt erkannte er auch Einzelheiten seines Körper: Es hatte ein dichtes Fell, eine lange rundliche Schnauze, es trug ein stumpfes Gehörn und hatte Hufe…
    »Ein Schaf«, murmelte Daa’tan.
    Der Wurmmann in der Geisterstadt hatten diesen Begriff gebraucht: Schaf. Wie war sein Name doch gleich gewesen?
    Logan, richtig.
    In Gedanken spielte er durch, was geschehen würde, wenn das Mammutschaf in fünf bis zehn Minuten den Felsen vor dem Wasserloch erreicht haben würde. Wenn es den Kopf hob, erreichte es locker das Felsplateau, auf dem er sich aufhielt.
    »Mutter«, murmelte er. »Ich muss dich von hier wegbringen…«
    Er legte den Kopf in den Nacken und blickte nach oben zum Gipfel des Felsens. Wenn er Aruula und sich selbst dort oben in Sicherheit bringen würde…
    Die Felsspitze lag nur zehn oder zwölf Meter über dem Plateau. Daa’tan machte sich klar,

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