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1980 Die Ibiza-Spur (SM)

1980 Die Ibiza-Spur (SM)

Titel: 1980 Die Ibiza-Spur (SM) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hinrich Matthiesen
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Rätsel. Mein Gott, das grenzt ja an Schwachsinn, was ich da ausgebrütet habe!«
»Ist aber noch alles drin«, antwortete Klaus darauf, und dann war er zum dritten Mal der Realist, der mit Logik und praktischem Verstand eine Lösung fand:
»Jetzt nimmst du einen Briefbogen und schreibst nichts weiter drauf als: ›Siehe Malte Laurids Brigge, Seite 150, Absatzende‹. Diesen Brief hat sie morgen, und vielleicht hast du übermorgen die Antwort.«
Und so machten sie es, und tatsächlich, wenige Tage später war Victor Hemmerich der glücklichste Mensch von Blankenese, wenn nicht gar von ganz Hamburg.
Klaus lächelte ins Dunkel, als er an diese seltsame Form einer Annäherung dachte, die seinem Bruder eine anderthalb jährige Romanze beschert hatte. Sie war dann allerdings sehr traurig zu Ende gegangen. Victor, der bis dahin zu Hause gelebt hatte, wurde Reporter, und die Zeit seiner Reisen begann. Da nahm Renate es mit der Treue nicht mehr so genau, und als Victor davon erfuhr, war es mit der Liebe vorbei. Es war ein sehr bedrückendes Ende, das Klaus, der gerade Semesterferien hatte, aus nächster Nähe miterlebte. Und wieder litt er mit dem Bruder. In diesen Tagen wurde der Name »Malte« zu einer heiklen Vokabel, und es war besser, ihn nicht zu erwähnen. Doch auch diese Zeit überwand Victor, wie junge Menschen eben ihre Enttäuschungen überwinden, sie als Erfahrungen einstufend und Mut schöpfend für neue Begegnungen. Was blieb, war die gemeinsame Erinnerung der Brüder und bei Victor eine gewisse Empfindlichkeit gegenüber Rilke, fast so, als hätte der den traurigen Ausgang mitverschuldet. Noch einmal lächelte Klaus über die Verwendung des »Malte« als Postilion d’ amour und über dessen Pech, in Ungnade zu fallen, nur weil ein Blankeneser Mädchen nicht treu sein konnte.
Und plötzlich lächelte er nicht mehr. Mit einem Ruck setzte er sich aufrecht hin in seinem Bett. So wie ihm damals, als Victor auf Antwort wartete, die naheliegendste Erklärung erst spät eingefallen war, hatte auch jetzt, bei aller Auffälligkeit, die Erkenntnis einen ganzen Tag gebraucht und fast noch die Nacht dazu. Jetzt, ganz plötzlich, war sie da: Wieso befand sich unter Victors Sachen dieses Buch? Was mochte den Bruder veranlaßt haben, nach fast zwanzig Jahren einer fast hysterisch betriebenen Ablehnung der Rilke-Lektüre ausgerechnet die »Aufzeichnungen des Malte« noch einmal zu kaufen?
Eine Weile saß er wie gelähmt, unfähig, aufzustehen und hinüberzugehen ins andere Zimmer, und während dieses beinahe ängstlichen Zögerns gingen natürlich Erklärungen in seinem Kopf um: Vielleicht hatte Victor seine Empfindlichkeit überwunden und wollte nun noch einmal, reifer jetzt, den »Malte« lesen? Vielleicht hatte man ihm das Buch geschenkt, und er hatte es nicht zurückweisen mögen? Aber im Grunde erwog Klaus diese Möglichkeiten nur, um sie wieder verwerfen und dann noch fester an die erregendste von allen glauben zu können.
Er stand auf, ging hinüber in das andere Zimmer, langsam, trat an das Bett, wieder zögernd, wieder ängstlich, und er hätte nicht sagen können, wovor er sich fürchtete, vor einer schlimmen Nachricht oder davor, daß doch – entgegen seiner Annahme – keine Nachricht da wäre. Er nahm das Buch vom Bett, und als er es hielt, bemerkte er, daß seine Hand zitterte. Er schlug es auf, blätterte. Wiederum hätte er nicht zu sagen vermocht, was ihn abhielt, gleich auf die Innenseite des hinteren Buchdeckels zu sehen, sie zu befühlen, abzutasten. Vielleicht war es wieder die Angst vor der Einsicht: Da ist nichts, du hast dich geirrt, deine Phantasie hat dich genarrt.
Er schlug die Seite 150 auf, suchte, begriff, daß es eine andere Malte-Ausgabe war als die damals benutzte, blätterte, fand die Zeit-Parabel und fand, am Ende des Kapitels, unauffällig an eine halbe Druckzeile angefügt, die drei Worte:
»Klaus, du weißt!«
Riß die Schreibtischschublade auf, entnahm ihr eine Schere, zerschnitt die Innenseite des hinteren Buchrückens. Zog den Brief heraus.

V.
    Es waren drei hauchdünne, beidseitig mit Maschine beschriebene Bogen und außerdem eine auf das gleiche Papier gezeichnete Skizze. Er las:
    »5. März 1981 Lieber Klaus!
So ganz sicher bin ich nicht, daß es mit der Briefbeförderung klappt, denn ich weiß nicht, ob dieses Buch Dir je unter die Augen kommt. Vielleicht ziehen sie es vor, auch meine Hinterlassenschaft zu beseitigen. Aber wie es auch kommen mag, ich will es auf diesem

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