1980 Die Ibiza-Spur (SM)
verriegelte Tür und sagte, da sei jemand am Telefon für mich. Ich bat ihn zu erklären, ich sei nicht im Haus. Ich bin nämlich sicher, das war schon ein Trick, mit dem sie mich aus dem Bau locken wollten.
Gleich nachdem Javier gegangen war, habe ich hier auf dem Schreibtisch ein paar beschriebene Blätter ausgelegt, Seiten aus meinem Galápagos-Report, damit sie, wenn sie kommen, etwas finden, was ich jetzt geschrieben haben könnte. Sie wissen ja längst, zumindest Javier hat es mitgekriegt, daß ich meine Remington schon eine ganze Weile bearbeite. Wenn sie nämlich nachher nichts Geschriebenes fänden, bliebe mit Sicherheit kein Buch, kein Kleidungsstück, kein irgend zerlegbarer Gegenstand heil, und dabei würden sie natürlich auch den »Malte« auseinandernehmen. Ich habe ihn gestern in der Librería Internacional entdeckt und spontan gekauft, zwar noch nicht in dem Bewußtsein, bald darauf in die Falle zu tappen, aber doch schon in dem Vorgefühl, das Buch vielleicht als Vehikel für eine Nachricht an Dich brauchen zu können.
Es ist ein eigenartiges, zwiespältiges Erlebnis, Dir in diesem Brief nahe zu sein und gleichzeitig zu wissen, daß dieser Abend vielleicht mein letzter ist. Ich schreibe das ruhig mal so hin, als ginge es ums Wetter. Brauchst es Mutter ja nicht so drastisch wiederzugeben. Diesen Brief zeig ihr lieber nicht, solange noch die Hoffnung besteht, mich lebend zu finden. Das klingt alles sehr dramatisch. Leider ist es das auch. Du weißt, daß ich Übertreibungen verabscheue und die Dinge lieber herunterspiele, aber diesmal ist es wirklich so. Ich habe mich zu weit vorgewagt, und darum haben sie mich aufs Korn genommen. Dies könnte wirklich mein letzter Tag sein. Andererseits weißt Du auch, daß ich ziemlich verbissen am Leben hänge. Darum werde ich nachher, wenn es dunkel geworden ist, alles versuchen, hier doch noch herauszukommen. Eine kleine Chance ist nämlich vorhanden.
Dieses Haus liegt eingefügt in die Ringmauer der Jahrhunderte alten Festung Ibiza, und es gibt unterhalb meines Fensters eine Steilwand von etwa acht Metern. Ich weiß nicht, ob sie auch da unten einen Mann postiert haben. Zweimal habe ich schon nachgesehen, einmal zum Schein den Fensterhaken zurechtgebogen und einmal die Geranien im Blumenkasten begossen und dabei das Terrain unter mir abgesucht. Ich konnte niemanden entdecken. Das hat mich ein bißchen beruhigt, ist aber keine Gewähr, denn in dieser vertikalen, wie aus einem Haufen verschieden großer weißer Schachteln aufgetürmten Stadt mit ihren unzähligen Winkeln, Nischen und Mauervorsprüngen läßt sich schwer erkennen, von wo aus man gesehen werden kann und von wo aus nicht. Es ist möglich, daß sie weiter unten einen Mann abgestellt haben, der ständig die Steilwand im Blick hat, vielleicht mit einem Fernglas, und der erst näherkommt, sobald es dunkel geworden ist. Aber vielleicht auch hab’ ich Glück, und sie rechnen nicht mit dem Fenster und der Wand. Das hängt davon ab, ob sie annehmen, daß ich selbst von der Gefahr weiß, in der ich mich befinde. Jedenfalls, wenn es überhaupt noch eine Chance für mich gibt, dann besteht sie in der Flucht durch dieses Fenster. Ich habe zwar kein Seil, aber einen Hosengürtel und zwei Bettlaken, und damit könnte ich mich herunterhangeln.
Übrigens, was meine Recherchen und die hier niedergeschriebenen Ergebnisse betrifft, möchte ich nicht, daß Du selbst etwas unternimmst. Ich sage das für den Fall, daß ich draufgeh’ oder als verschollen gelte. Übergib bitte alles Bert Naumann, den Du ja kennst. Er wird dann schon das Nötigste veranlassen. Gib ihm am besten diesen Brief. Hier noch eine Information für ihn. Der Stolleneingang ist allein mit Hilfe des kleinen Kreuzes nur sehr schwer zu finden. Zu beachten wäre. Von San Carlos aus führt eine Nebenstraße in Richtung Küste. Fünfhundert Meter vor einem linkerhand gelegenen kleinen Gasthaus – es ist das erste Gebäude auf der Strecke, zweistöckig, weiß, alleinstehend – geht man von der Straße aus nach rechts etwa dreihundert Meter weit über ein paar Äcker mit der dort typischen roten Erde und den ebenso typischen Steinwällen. Man stößt dann auf den großen Turm, der zu der Bleimine gehörte und heute mit Wasser gefüllt ist. Von diesem Turm aus, das wird mir jetzt klar, geht’s eigentlich nur weiter mit einer Skizze, weil es auf genaue Meterangaben und Winkelgrößen ankommt. Ich unterbreche also
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