1980 Die Ibiza-Spur (SM)
Weg versuchen; er ist der einzige, der mir bleibt.
Ich sitze in der Klemme, komme wahrscheinlich aus diesem verdammten Hotel nicht mehr ungeschoren heraus, so daß die Chance entfällt, meinen Brief mit der Post zu befördern. Ich kann ihn, wie Du gleich begreifen wirst, nicht mal an der Rezeption abgeben.
Ich weiß, sie stehen unten und warten auf mich oder warten auf ihre Stunde. Mindestens einer steht in der Halle, die anderen unauffällig verteilt über die steilen Treppen und Kopfsteingassen, die zu diesem Haus hinaufführen, dem CASTILLO, das zwar – zur Tarnung – immer ein paar Gäste beherbergt und ein sogar renommiertes Restaurant in Betrieb hält, aber im Grunde nichts anderes ist als ein konspiratives Nest.
Es ist eine groteske Situation. Ich sitze hier und schreibe an Dich, hetze nicht über die Tasten, wie Gefahr es eigentlich mit sich bringen müßte, und doch bin ich in Gefahr. Ich weiß es. War noch nie in einer größeren. Mein einziger Vorteil: Ich habe eine, wenn nicht gar zwei oder mehr Stunden Zeit, Dir alles Erforderliche mitzuteilen, denn vor Einbruch der Dunkelheit werden sie nichts unternehmen. Vielleicht auch dann noch nicht. Vielleicht warten sie, bis ich von selbst herauskomme.
Mein Zimmer hat kein Telefon, sonst würde ich natürlich Hilfe herbeirufen, aber es gibt hier im Haus nur zwei Apparate, einen im Büro des Eigentümers und einen anderen an der Rezeption.
Hier der Hintergrund meines Dilemmas: Ich bin in München auf einen Ring alter und neuer Nazis gestoßen, der seine europäische Zentrale auf Ibiza hat. Von hier aus werden Anschläge vorbereitet und organisiert. Auf der Insel befinden sich auch ein großes Sprengstofflager und ein Waffendepot, und zwar bei der Bleimine von San Carlos.
Ein paar Schlüsselfiguren, in München ein pensionierter Richter, der Anton Bornemann heißt und im Stadtteil Bogenhausen wohnt. Ebenfalls in München, und zwar in der Leopoldstraße, der Immobilienhändler Friedrich Lütjohann, ein auch schon älterer Jahrgang, ehemaliger SS-Sturmführer und Angehöriger der Division ›Totenkopf‹. Hier auf der Insel, der Eigentümer des Hotels, ein naturalisierter Spanier, ehemals Deutscher, mit Namen Guillermo (also Wilhelm) Hentschel, ein von den Ibizenkos wohlgeachteter Caballero, allein, wie ich glaube, in Wirklichkeit ein gefährlicher Faschist, Alter etwa Ende Fünfzig, so daß er das Dritte Reich als Pimpf, Hitlerjunge und Soldat erlebt haben muß. Dann, eine Deutsche mit Namen Julia Potter, die in der Calle España ein Pelzgeschäft betreibt, aber wohl auch nur, so vermute ich, damit die im Hintergrund laufenden Aktivitäten ein legales Gewand haben. Außerdem, Hentschels Sohn Javier, Julias Mann, etwa dreißig Jahre alt. Er arbeitet im CASTILLO an der Rezeption.
In der Nähe der Bleimine – ich habe sie auf meiner Karte vorsichtig angekreuzt, vielleicht kriegst Du sie ja zu sehen – befindet sich, versteckt hinter einem Dutzend mächtiger Pinien, ein Stolleneingang, durch den man in ein großes unterirdisches Waffen- und Sprengstofflager gelangt. Ich glaube allerdings, daß sie gerade dabei sind, es aufzugeben und den Stollen zu schließen, um ihr Arsenal an die Küste zu verlegen, weil für sie der direkte Zugang zum Meer strategisch wichtig ist. Sie haben auch eine Yacht. Damit befördern sie Waffen und Sprengstoff, manchmal auch Leute, nach Barcelona, Marseille und Genua, von wo aus der Transport dann über Land weitergeht. Nahe dem Stollen befindet sich ein gewaltiger, dickleibiger Turm, der – so glaube ich – zu der alten Mine gehört, ein unheimliches Ding, dessen Innenraum tief in die Erde hinunterreicht. Wer weiß, vielleicht legen sie mich da ab, wenn sie mich geschnappt haben. In dem Wald, der zum Minengelände gehört, werden, soviel ich weiß, Leute ausgebildet, Guerrilleros, die dann irgendwo in Europa zum Einsatz kommen.
Für die nächste Zeit sind dort Anschläge geplant, wo sich in irgendeiner Form der Antifaschismus manifestiert, sei es, daß da ein jüdisches Informationsbüro arbeitet, sei es, daß ein später Prozeß gegen NS-Verbrecher anläuft. Das alles habe ich ausgegraben, und vermutlich war es ein bißchen zuviel. Nun hocken sie da draußen und warten
auf die Gelegenheit, mich auszuschalten. Ob nur vorläufig oder langfristig oder endgültig, daß weiß ich nicht. Eben wurde ich unterbrochen. Javier, der fließend deutsch spricht, kam an meine
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