1981 - Richard
ein van Gogh, »Stillleben mit Bibel«. Neben der großen Bibel war ein zerfleddertes Buch dargestellt. Edmund Linz ging näher heran und konnte sogar den Titel und den Autor lesen. Es war Französisch, »La joie de vivre«, »Die Freude am Leben«, und stammte von Zola. Bevor er wieder zu den Stühlen ging, sah er noch hinter die Leinwand. Die Urkunde, auf der Rückseite klebte tatsächlich ein Papier, leicht glänzend, soweit es im Halbschatten zu erkennen war. Den Text darauf konnte er von der Seite nicht entziffern. Er hätte sich die Urkunde gerne noch genauer angesehen, aber die Gäste begannen sich langsam in die Stuhlreihen zu setzen. Diesmal nahm Edmund Linz in der zweiten Reihe Platz. Er wollte dem Geschehen, den Bildern ganz nahe sein. Vor ihm lag die Bühne, links die Bilder, in der Mitte ein Pult, hinter dem jetzt zwei Männer standen. Der eine, der sich als der Gastgeber herausstellte und der Vater der jungen Dame war, mit der Edmund Linz beim Dinner gesessen hatte, betätigte sich als Auktionator oder zumindest als derjenige, der die Gebote zuteilte. Er trug einen schwarzen Anzug mit einer auffälligen roten Fliege. Der andere Mann musste dieser Konrad Schumann sein. Er sah aus, wie ihn die junge Dame beschrieben hatte, nur noch ein wenig langweiliger. Die Tatsache, dass er Hochschullehrer war, ließ sich gut erahnen. Er trug ein Cordjackett und Cordhosen. Auf die Arme des Jacketts waren Ellbogenschoner aufgenäht. Mit seinem Aufzug passte er nicht zu den anderen Gästen, aber er war ja auch kein Gast. Er war um die einsachtzig und hatte einen leichten Bauchansatz. Er wirkte wie ein älterer Herr. Sein Gesicht war etwas blass, aber seine Körperhaltung wirkte aufmerksam und konzentriert. Edmund Linz sah ihn in den ersten Minuten nur von der Seite. Während Konrad Schumann noch schwieg, begann der Gastgeber schließlich über das Prozedere der folgenden Auktion aufzuklären.
»Liebe Gäste und Freunde. Wie immer gibt es keine Bieterkarten, heben sie einfach die Hand für ein Gebot und testen sie mich, ob ich noch ihren Namen kenne. Wen ich aber nicht kenne, und entschuldigen sie, dass dies natürlich auch vorkommen kann, also, wen ich nicht kenne, den benenne ich einfach nach seinem Aussehen.
Der Gastgeber sah sich um. In der vordersten Reihe, nicht weit von Edmund Linz, saß eine Dame im roten Kleid. Der Gastgeber ging auf sie zu und blieb vor ihr stehen.
»Das wäre dann die Madame in Rot.«
Die Gesellschaft lachte. Edmund Linz verstand zunächst nicht warum. Erst später erfuhr er, dass die Angesprochene, die Ehefrau des Gastgebers war. Der Mann fuhr mit seiner Erklärung fort.
»Wenn Herr Schumann jemanden des Gebotes bezichtigt, ist das bindend, es sei denn, sie oder er schüttelt unmittelbar nach Aufruf deutlich den Kopf. Das Mindestgebot wird von Herrn Schumann immer vorher ausgerufen. Jedes Handzeichen erhöht das jeweils letzte Gebot um hundert D-Mark. Ab einem Gebot von fünftausend D-Mark, gehen wir dann in Schritten um jeweils fünfhundert D-Mark höher, um die Spreu vom Weizen zu trennen.«
Erneut lachten die Gäste und es dauerte einige Sekunden, bis wieder Ruhe herrschte. Der Gastgeber fuhr fort.
»Ich überwache alles und sorge dafür, dass es fair zugeht, aber ich glaube das ist unter uns doch selbstverständlich.« Er hielt kurz einen Holzhammer in die Höhe, der auf seinem Pult gelegen hatte. »Dies ist der Auktionatorhammer. Bei einmal Schlagen wird es interessant. Beim zweiten Mal schon gefährlich. Beim dritten Schlag zücken sie bitte ihr Portemonnaie.« Er sah sich lächelnd um. »Ich hoffe sie haben alle unsere kleinen Regeln verstanden. Ach ja! Der Obolus für die ersteigerten Objekte ist sofort zu entrichten. Wir nehmen natürlich auch Schecks, aber ihr guter Name reicht uns natürlich nicht, da müssen sie schon mehr bieten.«
Der Gastgeber zog sich hinter das Pult zurück. Konrad Schumann klatsche, drehte sich erst jetzt richtig zu den Gästen um und schwieg einige Sekunden, bis wieder Ruhe eingekehrt war. Sein Blick ging über die Stuhlreihen. Edmund Linz sah ihn gebannt an. Er hatte noch die Rede des Gastgebers im Ohr, aber irgendetwas irritierte ihn. Er sah Konrad Schumann genau an. Kannte er diesen Mann. Er überlegte noch einmal. Schumann, nein Prof. Dr. Schumann, nein. Sicherlich kannte er einige Leute mit diesem Namen, aber keiner von Ihnen war mit Prof. Dr. Konrad Schumann identisch. Es vergingen einige Sekunden, in denen Edmund Linz nachdachte. Das Raunen im
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