1981 - Richard
nummeriert. Die beiden Behälter mit der Nummer eins mussten zuerst aufgetragen werden. Er entfernte die Deckel und schüttete den Inhalt des ersten Behälters auf die Rückseite der Leinwand. Mit einem der Pinsel verteilte er die klare, zähe Flüssigkeit zunächst auf einer Bildhälfte. Dann nahm er auch den zweiten Behälter mit der Nummer eins und goss ihn ebenfalls auf die Leinwand, über die noch nicht benetzte Hälfte. Mit dem Pinsel sorgte er dafür, dass die Flüssigkeit jeden Quadratzentimeter benetzte. Er sah sich kurz nach der Tür um, dann wickelte er schnell den benutzten Pinsel in eine kleine Plastiktüte und steckte ihn in seine linke Manteltasche. Er achtete darauf, nicht zu tropfen. Nachher würde er den Tisch und den Boden darunter noch einmal sorgfältig abwischen. Es durfte keine Spuren geben. Die beiden leeren Fläschchen legte er ebenfalls in Plastikbeutel und stopfte sie in die rechte Manteltasche. Den zweiten Pinsel hatte er sich schon zurechtgelegt. Bevor er weitermachen konnte, musste die bereits aufgetragene Flüssigkeit noch antrocknen. In seinen Versuchen hatte er einen kleinen Fön verwendet, um den Trocknungsvorgang zu beschleunigen. Er holte den Fön jetzt auch aus seinem Mantel. Das Stromkabel des Föns hatte er extra verlängert. Er schloss den Fön an, schaltete auf die Kaltluftstufe und hielt ihn in einer Höhe von dreißig Zentimetern über die Leinwand. Mit seinem Körper schirmte er das Geräusch des Gebläses Richtung Tür ab.
Das Klingeln des Telefons hörte er zunächst nicht, er hatte nicht einmal darauf geachtet, dass in dem Raum, an der Wand neben der Tür überhaupt ein Telefon hing. Er stellte den Fön aus. Es klingelte erneut. Er legte den Fön auf den Tisch und ging zum Apparat. Bevor es erneut klingelte, nahm er ab.
»Hallo«, sagte Edmund Linz in den Hörer. Seine Stimme klang unsicher.
»Nicht erschrecken, Simon Halter hier, ich wollte nur wissen ob sie noch da unten sind.«
»Ja, bin ich noch, ich verabschiede mich gerade von einem Traum«, antwortete Edmund Linz. »Ich hoffe sie können das verstehen.«
»Na, noch sind sie den Gauguin ja nicht los«, sagte Simon aufmunternd. »Es sind ja noch vier Wochen bis zur Auktion.«
»Es mag vielleicht eigenartig und dumm klingen«, erklärte Edmund Linz, »aber ich habe eine Beziehung zu diesem Bild aufgebaut, ich hatte zu all meinen Bildern eine Beziehung. Bei dem Gauguin war es in letzter Zeit sogar noch etwas stärker, jetzt wo ich die Hintergründe seiner Entstehung kenne.«
»Wissen sie was, in komme mal eben herunter«, sagte Simon.
Edmund Linz überlegte blitzschnell, jetzt konnte er niemanden hier in dem Raum gebrauchen.
»Gut«, hörte er sich sagen, »Ihr Mitarbeiter packt das Bild gerade ein, ich warte dann unten an der Treppe auf sie.«
»Ach so, sie sind schon fertig«, sagte Simon überrascht. »Dann warte ich doch oben auf. Die anderen kommen ja sicherlich auch in ein paar Minuten.«
»Gut, dann bis gleich«, sagte Edmund Linz ruhig und hängte den Hörer wieder in die Gabel ein. Er atmete kurz aus und wandte sich dann wieder dem Tisch zu. Er hob das Gemälde an und prüfte die Oberfläche der Leinwandrückseite im Licht der Raumbeleuchtung. Es war in der Zwischenzeit schon fast vollständig getrocknet, trotzdem föhnte er noch eine weitere Minute, bis er es schließlich für gut befand. Gerade die untere Schicht musste trocken sein, bevor er die zweite Lösung aufbrachte. Schnell öffnete er die erste der beiden verbliebenen Kunststoffbehälter. Wieder schüttete er den Inhalt aus und verteilte ihn mit dem neuen Pinsel. Das gleiche tat er mit der Flüssigkeit des letzten Behälters. Jetzt gab es kein Zurück mehr, zumindest hatte er nie getestet, ob es gelang, die Mischung wieder zu entfernen. Noch einmal nahm er den Fön. Die Mischungen waren jetzt, nachdem sie übereinander lagen, wesentlich labiler. Das Trocknen dauerte nun auch fast zehn Minuten. Dann begann er seine Sachen fortzupacken. Er schraubte die Kunststoffbehälter wieder zu und wickelte sie zusammen mit dem zweiten Pinsel in eine Plastiktüte ein. Er stopfte alles sorgfältig in die Innentaschen seines Mantels. Zuletzt nahm er auch noch den Fön.
Er sah auf die Uhr, vor genau zwölf Minuten hatte er mit Simon Halter telefoniert, man wartete bestimmt schon auf ihn, aber egal. Er würde erklären, dass er noch den Waschraum aufgesucht hätte. Er sah an sich herunter und kontrollierte, dass der Mantel nirgends ausgebeult war. Niemand
Weitere Kostenlose Bücher