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1984

1984

Titel: 1984 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Orwell
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Titeln wie »Liebe und Hiebe« oder »Eine Nacht in einem Mädchenpensionat« produzieren helfen, die heimlich von Jugendlichen aus dem Proletariat gekauft wurden, armen Ahnungslosen, die damit etwas gesetzlich streng Verbotenes und im geheimen Hergestelltes zu erstehen glaubten.
    »Was sind das für Bücher?« fragte Winston neugierig.
    »Ach, wüster Schund. Sie sind eigentlich sehr langweilig. Es gibt nur sechs mögliche Verwicklungen in der Handlung, die immer nur ein bißchen abgeändert werden. Ich war natürlich nur an den Kaleidoskopen beschäftigt. Nie bei der Umschreibe-Gruppe. Ich bin nicht literarisch genug, mein Lieber – nicht einmal dazu würde es reichen.«
    Mit Erstaunen erfuhr er, daß in der Pornoabteilung außer dem Leiter der Abteilung nur Mädchen beschäftigt wurden. Man ging davon aus, daß die Männer, die sich erotisch nicht so leicht beherrschen konnten wie Frauen, größere Gefahr liefen, durch den Schmutz, mit dem sie sich abgeben mußten, verdorben zu werden.
    »Sie nehmen dort nicht einmal gern verheiratete Frauen an«, fügte Julia hinzu. »Bei Mädchen wird immer vorausgesetzt, daß sie rein sind. Na, ich bin es jedenfalls nicht.«
    Sie hatte als Sechzehnjährige ihre erste Liebesaffäre mit einem sechzig Jahre alten Parteimitglied gehabt, einem Mann, der später Selbstmord beging, um der Verhaftung zu entgehen. »Und das war ein Glück«, fügte Julia hinzu, »sonst hätten sie meinen Namen von ihm herausbekommen, wenn er gestanden hätte.«
    Ihm waren zahlreiche andere gefolgt. In ihren Augen stellte sich das Leben sehr einfach dar. Man wollte es sich selbst so angenehm wie möglich machen; »sie«, das heißt die Partei, wollte einen daran hindern; also übertrat man die Gesetze, wo man nur konnte. Julia schien es ebenso natürlich zu finden, daß »sie« einem alles Vergnügen rauben wollte, wie daß man selbst versuchte, sich nicht erwischen zu lassen. Sie haßte die Partei und sprach das in den derbsten Worten aus, aber sie übte generell keine Kritik an ihr. Von den 59
    George Orwell – 1984
    Punkten abgesehen, wo ihr eigenes Leben damit in Konflikt kam, hatte sie keinerlei Interesse an den Doktrinen der Partei. Winston bemerkte, daß sie niemals Neusprachworte benutzte, außer den wenigen, die in die Umgangssprache eingegangen waren. Sie hatte nie etwas von der »Brüderschaft« gehört und lehnte es auch ab, an ihr Vorhandensein zu glauben. Jede Art organisierter Auflehnung gegen die Partei, die ja notwendigerweise fehlschlagen mußte, hielt sie für dumm. Gegen die Gesetze zu verstoßen und dabei selbst am Leben zu bleiben – darauf kam es an. Er fragte sich mit einem unbestimmten Gefühl, wie viele Menschen ihres Typus es wohl unter der jüngeren Generation geben mochte – Menschen, die in die Welt der Revolution hineingewachsen waren und nichts anderes kannten, die die Partei als etwas so Unabänderliches wie den Himmel zu ihren Häuptern hinnahmen, ohne sich gegen ihre Autorität aufzulehnen, sondern ihr einfach auswichen, wie ein Hase hakenschlagend einem Hunde zu entkommen sucht.
    Sie sprachen nicht über die Möglichkeit einer Heirat. Sie lag zu fern, um sich überhaupt damit zu beschäftigen. Man konnte sich keinen Prüfungsausschuß vorstellen, der eine solche Verbindung jemals genehmigen würde, selbst wenn Winston seine Frau Katherine irgendwie hätte loswerden können. Es war zwecklos, sich das auch nur auszumalen.
    »Wie war eigentlich deine Frau?« fragte Julia.
    »Sie war – kennst du das Neusprachwort gutdenkvoll ? Es bedeutet: von Natur aus orthodox, unfähig, einen Unvorschriftsmäßigen Gedanken auch nur zu fassen.«
    »Nein, ich kannte das Wort nicht. Aber diese Sorte Menschen kenne ich nur zu gut.«
    Er begann ihr die Geschichte seiner Ehe zu erzählen, aber seltsamerweise schien sie das Wesentliche davon bereits zu kennen. Sie beschrieb ihm, als habe sie es selber miterlebt oder gefühlt, wie Katherines Körper erstarrte, sobald er sie nur berührte, und wie sie ihn selbst dann noch mit ihrer ganzen Kraft von sich wegzustoßen schien, wenn ihre Arme eng um ihn geschlungen waren. Es bereitete ihm keine Schwierigkeit, mit Julia über solche Dinge zu sprechen: Katherine war jedenfalls längst keine schmerzliche Erinnerung mehr, sondern nur noch eine unangenehme.
    »Ich hätte es noch aushallen können, wenn nicht eine Sache gewesen wäre«, sagte er. Und er erzählte ihr von der frigiden kleinen Zeremonie, die ihn Katherine gezwungen hatte,

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