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1988 VX (SM)

1988 VX (SM)

Titel: 1988 VX (SM) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hinrich Matthiesen
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Oder man bringt mir, um mich wach und bei Laune zu halten, einen Kaffee, und das Tablett ist vorher durch wer weiß wie viele Hände gegangen. Vielleicht war eine dabei, die nicht dahingehörte …
Er sah sich um in der schummerigen Taverne, zählte die Anwesenden, kam auf einundzwanzig Personen. Es wurde Wein und Bier und Schnaps getrunken und viel geraucht. Und die Gespräche, soweit er sie verstehen konnte, enthielten die für Kneipen typische Mischung aus hausgemachter Philosophie, Nonsens, Klatsch und Anzüglichkeiten, hier und dort in Überlautstärke dargeboten.
Noch einmal ging er sie alle durch, betrachtete jeden ganz genau, hielt keinen von ihnen für einen Abgesandten Roberts. Wie’s wohl bei denen zu Hause aussieht? fragte er sich, und seine Antwort lautete: Ob sie nun Schulden haben oder Ehekrach oder Liebeskummer, ob sie ihren Job oder ihre Ehre verloren haben oder andere Sorgen sie drücken, ganz gewiß hat keiner von ihnen eine nationale Katastrophe auf dem Gewissen! Und er beneidete sie alle: den saufseligen Schwadroneur am Tisch gegenüber, die kleine Hure, die immer wieder ihre zehn Finger ausstreckte, um dem Ausländer am Nachbartisch ihren Preis klarzumachen, die beiden Dominospieler und den Schläfer in der Ecke und allemal den Kellner, ihn schon deshalb, weil er so schelmisch lächeln konnte. Und dachte: Wohin sie wohl gehen, wenn sie von hier aufbrechen? Bestimmt lebt keiner von ihnen auf einem Gestüt … Es war reiner Sarkasmus, daß er in seinen Gedanken fortfuhr: … mit Reithalle und Schwimmbad.
Und dann dachte er lange an seinen Hof. Zweimal in diesen Tagen hatte Katharina mit Sepp Laubinger aus Kellbach telefoniert, der während des Urlaubs sein Haus und seinen Garten hatte in Schuß bringen wollen. Der kümmerte sich nun um alles, hatte auch ein paar Helfer eingestellt, so daß keins der Tiere Not litt. Und die Bank hatte sie angerufen, damit genügend Geld zum Wirtschaften zur Verfügung stand. Sie hatte erfahren, daß von den drei Konten – ihrem, seinem und dem gemeinsamen – nur das erste nicht gesperrt war. Ob er seine dreiundzwanzig Stuten, die beiden Hengste und die vierundneunzig Absetzer je wiedersehen würde?
Valorosa fiel ihm ein, die achtjährige Berberstute, die im vergangenen Jahr operiert werden mußte. In einer Spezialklinik hatte man ihr sieben Meter Dünndarm herausgeschnitten und dann zum besseren Halt der Innereien ein Plastiknetz eingezogen. Er hatte es miterlebt, wie sie von einem Kran auf den Behandlungstisch gehoben worden war.
Oder Mysteriosa. Ihr Fohlen lag falsch, und der Tierarzt John Reimers mußte korrigieren, konnte es erst bei der Geburt.
Aber am denkwürdigsten war, was Mariannes Stute Cara sich geleistet hatte. Niemand hatte dem Tier etwas angemerkt, und dann, eines Morgens, als er einem jungen Mann, der im Probemonat war, bei der Fütterung zusehen wollte, lag neben Cara ein Fohlen! Er traute seinen Augen nicht, glaubte an eine Halluzination oder an einen Schabernack, aber ein Blick auf die Stute sagte ihm, daß sie in der Nacht geworfen hatte. Das große Rätselraten setzte ein, denn sie war nicht zum Decken gebracht worden. Abgesehen davon, daß es im Zuchtbuch hätte stehen müssen, wäre ein Transport gerade dieser sensiblen Stute jedem in Erinnerung geblieben. Sie weigerte sich nämlich wie keine andere, den Hänger zu betreten, schlug, wenn man sie hinauftreiben wollte, aus, warf sich hin, sprang sich blutig. Sie war also nicht beim Hengst gewesen, und doch gab es an jenem Morgen im Stall die Idylle von Mutter und Kind! Er rief dann sofort John Reimers an, und der reagierte nicht nur ironisch, sondern auch noch blasphemisch, sprach von der ersten unbefleckten Empfängnis in der Tierwelt und schlug vor, Cara umzutaufen in Maria. Eine Rekonstruktion brachte schließlich die Erklärung. Einer der jungen Hengste war, weil vom Gebäude her noch schwach entwickelt, nicht, wie eigentlich vorgesehen, nach einem Jahr gekört, sondern erstmal zusammen mit den Stuten auf die Weide geschickt worden. Dort mußte, von allen unbemerkt, die Deckung erfolgt sein.
Er leerte seine Tasse, rieb sich die Stirn, und dann war, von einem Moment zum anderen, die Entscheidung da! Ja, es stand nun fest, er würde sich stellen! Natürlich gab es keine Garantie dafür, daß seine Rückkehr den bevorstehenden zweiten Anschlag der VITANOVA verhinderte, aber es war einen Versuch wert. Und auch wegen Katharina wollte er es tun. Sie sollte sich nicht mehr verkriechen müssen.

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