1988 VX (SM)
da fiel Pierre der Vorwurf ein, den Robert ihr gemacht hatte, als sie das Gestüt verließen. Wladimir hatte ihm davon erzählt. »Ach, du meinst Golombek!«
»Ja, den meine ich. Nach dem bombastischen Aufruf in der Zeitung wird er sich gestellt haben.«
Jetzt fragte auch Pierre: »Und was nun?«
»Wir brechen sofort auf«, sagte Robert, »fahren nach Stockholm, lassen uns das restliche Geld auszahlen und gehen nach Moskau. Ich jedenfalls mach’ das. Immerhin haben wir für die Generals-Clique den Kopf hingehalten, und Helga hat sogar dran glauben müssen! Wenn es nicht ganz so geklappt hat, wie die sich das vorgestellt haben, ist das noch lange kein Grund, uns nicht bei Mütterchen Rußland unterkriechen zu lassen. Sollte Golombek sich tatsächlich gestellt haben, wird hier im Westen spätestens morgen eine ganze Galerie von Bildern in den Zeitungen und natürlich auch im Fernsehen erscheinen. Also müssen wir schleunigst verschwinden.«
»Okay«, sagte Pierre, »das können wir machen. Aber ich bezweifle, daß die Generäle den noch fehlenden Sold rausrücken. Unser Auftrag war: So viel Verheerung schaffen, daß die Bundesrepublik ein VX-Syndrom kriegt und sich, was die Lagerung von C-Waffen auf ihrem Boden betrifft, gegen die USA und gegen die NATO stellt. Das zweite, für die Herren mindestens ebenso wichtige Ziel: Der Verdacht fällt auf den Osten, und das schwächt Gorbatschows Entspannungspolitik. Die schätzen die alten Knacker, wie wir wissen, ganz und gar nicht. Aber nun ist die BRD mit einem blauen Auge davongekommen, und also wird sich überhaupt nichts verändern. Wir haben unseren Job nur zu einem Bruchteil erledigt.«
»Trotzdem!« sagte Robert. »Wenn ein Arzt seinen Patienten operiert und der stirbt ihm unterm Messer oder ein paar Tage später, dann heißt das doch nicht, daß er kein Honorar kriegt. So ähnlich ist es bei uns. Wir haben unter größten Anstrengungen und Gefahren den Tunnel gebaut und die Granaten aus dem Camp geholt. Wenn unsere Auftraggeber das noch ausstehende Geld einbehalten, werden sie auf andere Weise zahlen.«
»Auf welche?«
»Da fällt uns mit Sicherheit was ein.«
»Wieviel haben wir noch zu bekommen?« fragte Zayma. »Zweieinhalb Millionen Mark«, antwortete Robert. »Wenn Sieglinde und Igor geschnappt worden sind, kriegen sie ›Lebenslänglich‹. Das würde bedeuten, daß wir durch fünf teilen. Macht für jeden fünfhunderttausend.«
»Eigentlich wolltest du nach Madeira«, sagte Zayma.
»Ist überholt. Fürs erste sind wir nur im Osten sicher.«
15.
Zayma stieg aus der Badewanne, trocknete sich ab, zog den weißen Frotteemantel mit dem Aufdruck HOTEL SKANDINAVIA/STOCKHOLM an, der ihr viel zu groß war, ging ins Zimmer, setzte sich in einen der tiefen Sessel und begann mit der Maniküre. Sie dachte an Lars Nydager. Er war einer der vier Männer, die im Frühjahr der VITANOVA das »Unternehmen VX« übertragen hatten. Aber für sie war er mehr gewesen als ein beliebiger aus Moskau gesteuerter Vermittler. Er hatte sie damals in sein Sommerhaus eingeladen, und dort draußen in Saltjöbaden hatte sie, was nur ganz selten geschah, für einen Tag und eine Nacht ihre selbstgewählte Askese aufgegeben. Es wurde für beide ein Fest der Begierde, der Wollust, des Rausches.
Sie wußte nicht, ob er diesmal wieder dabeisein würde. Es hatte zwischen ihnen keine Briefe gegeben und keine Telefonate, nicht ein einziges Lebenszeichen, nur die Erinnerung, jedenfalls für sie, und die Hoffnung, nach erledigtem Auftrag würde das Ereignis von Saltjöbaden sich wiederholen.
Als der Nagellack getrocknet war, kamen die Fußnägel an die Reihe. Es folgte die Pflege von Gesicht und Körper, und dann zog sie das Kleid an, das sie gerade erst gekauft hatte, ein raffiniert geschnittenes fußlanges Gewand aus hellem Leinen. In der Taille wurde es durch eine goldene Kette zusammengehalten. Unter dem Kleid trug sie nichts. Sie sah auf die Radiouhr am Kopfteil des Bettes. Es war jetzt zehn Minuten nach sechs. Seit dem eiligen Aufbruch in Köln waren fast achtundvierzig Stunden verstrichen. Über Puttgarden waren sie nach Helsingør gefahren und hatten die Autofähre nach Hälsingborg genommen. Dort waren ihnen in einer deutschen Zeitung die Fotos von Sieglinde und Igor sowie ihre eigenen Phantombilder unter die Augen gekommen, aber da hatten sie die beiden Staatsgrenzen schon hinter sich gehabt. Und dann waren sie zur zweiten Nachtfahrt gestartet, hatten sich
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