Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
1988 VX (SM)

1988 VX (SM)

Titel: 1988 VX (SM) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hinrich Matthiesen
Vom Netzwerk:
herrscht im Depot noch ein ziemliches Durcheinander. Da achtet so leicht niemand auf einen Schwarzstorch, der zufällig übers Camp fliegt. Vielleicht haben die Montag schon einen neuen Chef, und neue Chefs sind am Anfang immer pingelig.« Er sah auf seine Fingerkuppen. »Hast du heute morgen deinen Spray erneuert?«
»Hab’ ich.«
Hilario stand auf, nahm die Weinflasche und die Dosen von der Kühlbox, öffnete den Deckel, entfernte ein Tuch, griff dann noch einmal mit beiden Händen tief hinein in den Kasten und holte ein prächtiges ausgestopftes Exemplar der cigonia nigra , des Wald- oder Schwarzstorches, heraus und setzte es auf die Wolldecke. Zaymas Rechte strich behutsam über das dunkle Gefieder, in dem das Schwarz überwog; aber es hatte auch einen Schimmer von Grün und Rot. Sie besah sich den Vogel genau; den mächtigen roten Schnabel, die ebenfalls leuchtend roten Augenringe und Beine. Doch sie untersuchte auch etwas anderes, nämlich die perfekte technische Ausstattung des Tieres: den an der Brust befestigten Elektromotor, den Kurzwellenempfänger und die beiden zwischen den Beinen angebrachten MINOLTA-Kameras.
Hilario packte inzwischen sein Sendegerät aus. Es war klein und handlich, glich der Fernbedienung für ein TVGerät.
»Noch drei Minuten«, sagte er.
»Vielleicht«, meinte Zayma, »wäre ein bißchen Wind doch besser gewesen. Zum Übertönen der Motorengeräusche.«
»Der Motor ist extrem leise, und dann hat Pierre ja auch noch die Polyesterschicht mit eingepackt.« Er klopfte leicht gegen das kleine schwarze Plastikgehäuse.
»Wie lange habt ihr an dem Ding herumgebastelt?«
»Die ganze Woche, in der du in Paris warst. Und dann gingen noch zwei Tage drauf mit Probeflügen.«
Wieder strich Zayma über das dunkle Gefieder. »Und hat der Bursche keine Gewichtsprobleme mit all den Apparaten?«
»Du weißt doch, wir leben im Mikro-Zeitalter. Die Geräte werden immer kleiner und leichter. Diese MINOLTAs wiegen zusammen nicht mehr als fünf- bis sechshundert Gramm.«
»Kann er, wenn er über dem Depot ist, auch ein paar tierische Laute von sich geben?«
»Zunächst hatten wir das geplant. Pierre hat sogar einen Ornithologen befragt, und der sagte, Schwarzstörche könnten ziemlich viel Krach machen und seien dabei auch recht variabel. Die stimmliche Bandbreite reicht vom Keuchen eines Asthmatikers bis zum Kreischen einer Metallsäge. So ähnlich hat der Mann sich ausgedrückt. Aber dann haben wir uns gesagt: Lieber nicht das Risiko eingehen, was falsch zu machen. Und wer weiß, vielleicht haben wir sogar das Glück, daß niemand den Vogel sieht, und dann würde sein Krächzen die Männer überhaupt erst auf ihn aufmerksam machen.« Hilario stand auf, blickte rundum.
»Keiner in der Nähe«, sagte er dann und nahm den Vogel auf, gab ihn Zayma. »Heb ihn ganz hoch! Bis über deinen Kopf!«
Sie befolgte die Anweisung.
»Wenn ich ›Jetzt!‹ sage, wirfst du ihn einfach nach vorn und nach oben, so als wolltest du einen Basketball ins Netz bringen!« Er klappte die Beine des Storchs nach hinten und überprüfte die Scharniere der Flügel. Dann trat er zur Seite und rief halblaut: »Jetzt!«
Sie schleuderte das Tier in der angegebenen Weise von sich. Hilario drückte eine Taste des Sendegeräts, und sofort setzte ein ganz leichtes Schnurren ein, das aber schon nach wenigen Flugmetern nicht mehr zu hören war. Mit gleichmäßigem Ausschwingen der Flügel, die eine Spannweite von achtzig Zentimetern hatten, entfernte sich der Storch, gewann schnell an Höhe. Hilario lenkte ihn auf den Wald zu, ließ ihn aber über dem Kornfeld noch einen großen Kreis schlagen, änderte dabei auch mehrmals die Höhe, um die Fernbedienung zu überprüfen, und erst dann schickte er ihn erneut in die Richtung des Waldes.
Zayma hatte längst ihr Fernglas vor den Augen.
»Ich glaube«, sagte sie, »du mußt etwas höher gehen, sonst bleibt er in den Bäumen hängen.«
Hilario korrigierte. »Gut so?«
»Noch ein bißchen.«
»Täuschst du dich auch nicht? Je tiefer wir gehen, desto bessere Bilder kriegen wir.«
»So! So kann es bleiben! Aber gleich sehe ich ihn nicht mehr. Da! Jetzt ist er weg!« Sie schwenkte das Glas mehrmals hin und her. »Da ist er wieder! Aber er ist nur noch ein winziger Punkt und …, nun ist er verschwunden!«
Hilario bediente eine andere Taste auf seinem Gerät. »Jetzt brauchen wir viel Glück«, sagte er, »weil wir sozusagen blind operieren. Wenn alles klappt, macht unser Ikarus zweiundsiebzig

Weitere Kostenlose Bücher