1988 VX (SM)
Männer reden hören. Reimers hatte ganz unverschämt gewonnen und sonnte sich in seinem Sieg. Da wollte der Förster ihm einen Dämpfer geben. Er foppte ihn mit dem Sprichwort vom Glück im Spiel und dem Pech in der Liebe, doch Reimers konterte mit schallendem Gelächter: »Du, das heißt aber anders, jedenfalls bei mir. Da heißt das: Wer Glück im Spiel hat, der hat auch Geld für die Liebe!« Ja, ein Mann müßte man sein! Dann könnte man sich die Liebe kaufen oder bekäm’ sie sogar gratis, denn den Männern läßt man die Blessuren eher durchgehen, weil es für sie nicht drauf ankommt, schön zu sein.
Sie stand auf, legte sich auf den Fußboden und kroch unters Bett, tastete eine Weile im Dunkel herum und kam wieder hervor mit einer noch fast gefüllten Flasche Hennessy, richtete sich auf, klemmte die Flasche zwischen ihre linke Hand und ihre linke Brust, zog mit den Zähnen den Korken heraus und setzte sich wieder an den Tisch.
Dann goß sie sich die Kaffeetasse voll und trank. Briefeschreiben, was ist das schon? Immer wieder steht unten drunter: Te abrazo! Alejandro. Ich umarme Dich!
Und auch bei mir, immer wieder: Te abrazo, Marianne.
Okay, so macht man’s in den Briefen, vor allem die Südamerikaner machen das, aber sie umarmen sich dann ja auch tatsächlich, wenn sie sich auf der Straße oder sonstwo treffen. Da geht’s also schon los: Er steigt aus dem Zug, sieht mich, und seine erhobenen Hände bleiben in der Luft, weil er merkt, daß zu seiner Art der Begrüßung das Pendant fehlt. Was mach’ ich dann?
Sie nahm einen großen Schluck aus ihrer Tasse. Schreiben ist nur dann gut, wenn man es einlösen kann, und sei’s
nach drei Jahren, solange der andere eben weg ist, auf Reisen oder im Knast oder wo immer, aber in deinem Kopf muß, wenn du es hinschreibst, die Gewähr sein, daß Einlösung irgendwann möglich ist.
Männer – ich hab’s doch hundertmal gelesen – wollen, daß Frauenhände, wie Valentino sagen würde, auch das Unaussprechliche an ihnen berühren. Und wenn nun ich …, mein Gott, der kriegt ja glatt einen Infarkt, der Junge aus Valparaiso!
Sie schenkte sich nach, trank. Schreiben ist Scheiße. Ob Briefe oder Bücher, Schreiben ist immer Ersatz. Aber man kann es ertragen, kann es durchstehen, wenn man genau weiß: Sofern man nur wollte, könnte man von den Worten weg zur Sache kommen. Ich glaube, irgendwann lasse ich mir zwei Gipsarme machen! Die schnall’ ich mir um, und dann komm’ ich grad aus St. Moritz, bin da mit sechzig Sachen auf die Piste geknallt und …, also, es wird zwar ein bißchen akrobatisch, aber wenn es ihn nicht stört … Und natürlich stört es ihn nicht, denn es ist ja erst vor ein paar Tagen passiert, war also nicht immer so und wird nicht so bleiben. Irgendwann kommt der Gips ja wieder runter. Natürlich behalte ich meinen Pullover an, und dann drehen wir uns schon irgendwie zurecht …
Sie leerte die Tasse, und als sie sie wieder abstellen wollte, fiel sie ihr aus der Hand, zersprang auf dem hölzernen Boden. Es war seit Jahren das erste Mal, daß ihr ein Stück Geschirr kaputtging. Sie starrte auf die Scherben, und nun half auch der Galgenhumor nicht mehr. Ihr war, als wäre sie nach einem leichtfertigen Sprung auf zu dünnem Eis eingebrochen. Sie weinte, und auch das war seit langem das erste Mal.
Sie setzte die Flasche an den Mund, trank, und dabei liefen ihr die Tränen übers Gesicht. Es gibt keinen Ersatz für
den Sex. Innenräume zählen nur in Verbindung mit dem Bewußtsein, daß man sie jederzeit verlassen kann. Briefe
ersetzen nicht das Leben. Bücher auch nicht.
Sie stand auf. Die Flasche war fast leer. Sie rollte sie unters Bett und schwankte zur Tür.
Das Tier hörte sie und ging auf das Streugut zu, schaffte es aber nicht ganz, weil die Leine nicht reichte. Sie pflockte es los, und sofort stellte es sich neben die Kiste.
Da komm’ ich ja nie rauf!
Der erste Versuch ging dann auch daneben. Sie rutschte von der hölzernen Kante ab und fiel ins Gras.
Aber beim zweiten Mal schaffte sie es.
Sie ritt los, ritt zehn Minuten, ohne dem Tier auch nur die leiseste Weisung zu geben. Es kannte sich ja aus, und so brachte es seine diesmal doppelt beeinträchtigte Reiterin unbeschadet bis zum Waldweg. Dort begann es zu traben.
Und dann geschah das, wovor Frank und Katharina Golombek sich fürchteten, seit ihre Tochter mit dem Reiten begonnen hatte. Plötzlich scheute die Stute, stoppte abrupt ihren Lauf, bäumte
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