1988 VX (SM)
zweitklassigen Rechten dieses Leben anpacken zu müssen. Darum war ich besessen von dem Vorsatz, soviel wie irgend möglich mit dem kaputten Arm anzustellen, selbst die schwierigsten … Handhabungen. Und …«, er lächelte sie an, »die schönsten natürlich auch.«
»Aber … du fühlst doch nichts mit diesem … diesem Haken!«
»Doch, das hab’ ich mittlerweile geschafft. Manchmal tut er mir weh. Manchmal zuckt es in dem Eisen. Und manchmal spüre ich sogar, wie das Blut darin pulst. Natürlich, das alles hat seine Grenzen, und …«
»Das glaube ich dir gern.«
»… und wenn es darum geht, eine Wange zu streicheln oder womöglich was …, was Unaussprechliches, du verstehst, dann nehm’ ich schon mal die Linke zu Hilfe.« »Wie beruhigend für die Frauen!«
»Du antwortest mir so zynisch, und das solltest du nicht tun. Sonst nimmst du mir den Mut, daran zu glauben, daß ich mit diesem Arm …«, er hob den Haken in die Luft, »alles kann. Oder doch fast alles. Und dieser Glaube ist für mich wichtig, wichtiger als Essen und Trinken und Rauchen zusammengenommen.«
Später waren sie dann in die Kajüte hinuntergegangen, und in der Koje hatte sie sogar das Eisen gestreichelt. Jetzt dachte sie, wie schon öfter seit damals: Natürlich war auch das keine Liebe. Es war ein Arrangement unter Versehrten. Schließlich fiel ihr auch das jüngste Erlebnis ein. Einer ihrer Sprachlehrer. Ein intelligenter, aber weltfremder Mann, der es schwerhatte mit den Frauen, weil er sich ihnen unterlegen fühlte. Und das war, wiederum aus der Rückschau, dann doch sehr deprimierend für sie: zu vermuten, daß er diese Unterlegenheit bei seiner Begegnung mit ihr nicht empfunden hatte.
Sie trank ihren Kaffee aus, ging ans Fenster, sah auf Cara, die an ihrer langen Leine graste, und fragte sich, was
wohl besser wäre, ein geglücktes Pferd zu sein oder ein mißglückter Mensch, fand gleich darauf die Frage absurd. Sie setzte sich wieder an den Tisch. Aber dreht sich, dachte sie, letzten Endes nicht doch alles nur um das eine? Ich glaube, die ganze Welt dreht sich darum! In tausend Schattierungen tut sie das, mal direkt, mal versteckt und sehr oft kaum zu erkennen, aber wenn man genau hinsieht, merkt man es doch. Der Urlauber, der seinen Koffer packt, um nach Ibiza zu fliegen, träumt vom Strand, von der Sonne, vom Wasser, vom spanischen Wein und von spanischer Musik, und das alles sind nur unterschiedliche Vokabeln für das eine, das er sich erhofft: ihr zu begegnen! Am Strand. In der Sonne. Im Wasser. Beim Wein. Bei der Musik. Und dann das mit ihr zu tun, wonach es ihn drängt. Oder die Diva, die auf der Bühne steht und der die Menschen zujubeln! Ist sie nicht im Rausch, und verspürt sie nicht die frenetische Hinwendung am stärksten in ihrem Schoß? Bei mir wäre es so. Ach, und der Mann, der am Steuer seines ALFA ROMEO sitzt und über die Autobahn rast! Er will sich bewähren, will zeigen, was für ein Kerl er ist, und wozu sollte das gut sein, wenn es keine Frauen gäbe? Und der Typ, der durch die Nacht reitet und dann am Lagerfeuer seine Marlboro anzündet oder seine Camel oder seine Stuyvesant, wovon träumt er, wenn er da draußen sitzt und allein ist? Von den Frauen. Und wenn er’s nur spielt, das Reiten und das Dasitzen und das Anzünden, während die Scheinwerfer gleißen und die Kamera surrt und das Team um ihn herum wieselt, dann weiß er ebenfalls, daß später im Parkett die Frauen sitzen, sein kantiges Gesicht sehen, den Hauch der Steppe atmen und warm werden zwischen den Schenkeln. Und der Stubenhocker, der sich an seinem Schreibtisch aufregende Geschichten ausdenkt von Männern und Frauen, der würde bestimmt viel lieber rausgehen und Jagd machen auf eine und sie dann ins Gras legen oder ins Heidekraut oder in den Sand, ist ja egal, und es mit ihr machen. Ja, das will er bestimmt viel lieber, als nur aufzuschreiben, daß da einer Jagd macht auf eine und sie dann ins Gras legt oder ins Heidekraut oder in den Sand. Und ich? Natürlich würde ich lieber auf Valentino sitzen als auf Cara, selbst wenn er mir eisern käme am Bauch oder sonstwo!
Wenn ich wenigstens ein Sohn geworden wäre! Dann könnte ich immer noch losziehen mit Vaters Geld und kaufen, was mir fehlt! Sie lachte in sich hinein, weil sie an die Skatrunde ihres Vaters denken mußte: der Vater, der Tierarzt Dr. Reimers und André Messmer, der Förster. Sie war durchs Zimmer gegangen und hatte die
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