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1988 VX (SM)

1988 VX (SM)

Titel: 1988 VX (SM) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hinrich Matthiesen
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eingerechnet, war der fünfte der Anwesenden Igor Lepski, ein Weißrusse aus der Beresina, Jahrgang 1950 und damit der Älteste. Er war über viele Jahre hin in einem deutsch-russischen Handelsbüro tätig gewesen, hatte intensiven Kontakt zur KPD gepflegt, sich dann aber wegen schwerwiegender Meinungsverschiedenheiten von ihr zurückgezogen. Ein privater Kontakt aus dieser Zeit war jedoch erhalten geblieben. Auf einer Parteiversammlung hatte er Sieglinde Bühler kennengelernt, mit der er seither zusammenlebte.
    Der sechste war der dreiunddreißigjährige Russe Wladimir Ostomski aus Leningrad. Er hatte in seiner Heimatstadt ein Germanistik-Studium absolviert und war anschließend nach Heidelberg gegangen, wo er sich mit einer jungen Frau aus der RAF befreundete. Sie starb bei einem Schußwechsel an der deutsch-belgischen Grenze. Durch sie hatte er den Kontakt zur VITANOVA gefunden, und nach ihrem Tod wurde er Mitglied. Er stand, wie ihm bekannt war, auf der Fahndungsliste des BKA, allerdings unter falschem Namen.
    Die Nummer sieben war Helga Jonas, die Freundin von Robert. Sie stammte aus Stralsund, war ein Jahr lang für den Geheimdienst der DDR in Westdeutschland tätig gewesen. Als sie sich mit Robert Stockmann anfreundete, wurde sie Mitglied der VITANOVA. Sie stand ebenfalls seit langem auf der Fahndungsliste, wußte das auch. Einmal war sie in einem Mannheimer Café dem Zugriff des BKA nur knapp entronnen. Sie sah das Auto vorfahren und konnte noch rechtzeitig durch den Hinterausgang verschwinden.
    Die Nummer acht schließlich war Sieglinde Bühler, die Freundin Igor Lepskis, fünfundzwanzig Jahre alt, geboren in Hamburg. Sie gehörte schon als Siebzehnjährige zum Sympathisantenkreis der RAF. Nach dem Abitur studierte sie Romanistik, brach aber das Studium nach dem sechsten Semester ab und ging zu einer Zeitung, für die sie zwei Jahre lang als Korrespondentin in Paris arbeitete. Dort stieß sie zur Action Directe und war an mehreren Terroranschlägen beteiligt. Sie kehrte nach Deutschland zurück und wurde auf Empfehlung von Igor Mitglied der VTTANOVA.
    Es gab einen französischen Landwein. Die Drei-LiterKorbflasche stand auf dem Tisch, die Gläser waren gefüllt. »Ich will«, begann Robert, »noch einmal deutlich machen, worum es uns geht. Glasnost und Perestroika , also Transparenz und Erneuerung, sind die beiden Begriffe, die den Kurs der Sowjetunion bestimmen, seit Michael Sergewitsch Gorbatschow an der Macht ist. Transparenz und Erneuerung, das bedeutet Veränderung der sowjetischen Politik bis hin zur Aufgabe altbewährter Prinzipien und Annäherung an das kapitalistische System des Westens.
    Die Vertreter des neuen Kurses streben nicht mehr nach der Weltrevolution. Sie behaupten, die sozialistische Gesellschaftsform, wie sie bisher das Leben im Ostblock bestimmt hat, sei auf die Dauer nicht praktikabel. Für zahlreiche alte Funktionäre und Militärs aber ist das ein Verrat am Kommunismus. Die Einführung geheimer Wahlen mit mehreren Kandidaten, das Liebäugeln mit der freien Marktwirtschaft, die Schaffung eines privaten Unternehmertums mit privaten Gewinnen und so weiter und so weiter, das alles führt zur Demontage des traditionellen Systems. Um aber diese drastischen innenpolitischen Korrekturen durchführen zu können, braucht Michael Sergewitsch Ruhe von außen, und das heißt, er braucht Erfolg in seiner Politik mit dem Westen. Darum die Abrüstungsvorschläge. Was nun uns betrifft: Wir sind dazu da, die Außenpolitik des neuen Kremlführers zu stören, also Aktionen durchzuführen, die dem Osten angelastet werden und die den Westen irritieren. Nebenbei bemerkt: Auch im Westen sind Strömungen vorhanden, die Gorbatschows neuem Kurs zuwiderlaufen. Wie ist das zu verstehen? Ganz einfach: Im Osten wie im Westen gibt es Menschen, die ihr Feindbild so nötig haben wir ihr täglich Brot. Wenn dieses Feindbild zerbröckelt, dann ist das so, als entzöge man ihnen etwas ganz Elementares, auf das sie seit Jahrzehnten gesetzt und für das sie gefühlt, gestritten und gelebt haben. Für sie ist die Welt nicht mehr in Ordnung, wenn dieses Feindbild plötzlich nicht mehr da ist oder gar freundliche Züge annimmt. Aber der Westen interessiert uns nicht. Uns interessiert nur der Osten, denn der bezahlt uns. Wir sind kein ideologischer Verein, der irgendwelche Parolen, die die Welt verändern sollen, auf seine Fahnen geschrieben hat. Wir haben gar keine Fahne. Wir sind ein Haufen Versprengter, haben zwar früher

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