1988 VX (SM)
sie.
»Nein«, sagte er schließlich.
»Warum nicht?«
»Die Sensoren! Sie reagieren auf jedes Geräusch und jede Erschütterung. Fünfzig bis sechzig Meter würden wir vielleicht schaffen, ohne daß sie sich melden. Selbst wenn wir bei siebzig oder achtzig sind und an der Stelle dann noch mal drei oder vier Meter tiefer gehen, irgendwann schlagen sie Alarm. Und dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis man unsere Baustelle gefunden hat.«
»Und wenn wir ganz leise arbeiten?«
Wieder lächelte er sie an. »Es würde nicht ohne Maschinen gehen, und die machen Krach.«
»Warum nicht per Hand?«
»Dazu ist die Strecke zu lang. Auch wenn man die Anzahl der Arbeiter verdoppelt oder verdreifacht, würde es zuviel Zeit kosten. Ganz vorn kann ja immer nur einer arbeiten; vielleicht sind’s zwei, aber mehr nicht. Mit jedem Mann, den wir zusätzlich nach vorn bringen, können wir höchstens den Stollen breiter anlegen, aber damit kommen wir nicht schneller voran.«
»Das leuchtet ein.«
»Es hätte mir schon gefallen, von unten an die Granaten heranzukommen.«
Seine Rechte, die auf dem Papier lag,
hielt den Kugelschreiber, und plötzlich war da die Mädchenhand, ergriff den Stift, zog daran, zog ihn heraus aus seiner Hand. Die Geste hatte etwas Vertrautes, ja, Vertrauliches. Erstaunt blickte er auf. Noch mehr aber staunte er, als dann auf dem Plan, unterhalb seiner Reithalle, ein weiteres Rechteck entstand. Und dann hörte er das Mädchen sagen:
»Sie selbst haben vorhin das Stichwort geliefert! Sie nannten den Stollen eine Baustelle. Hier …«, die Spitze des Kugelschreibers zog noch einmal das neu entstandene Rechteck nach, »könnte eine echte Baustelle entstehen. Ganz legitim. Mit Antrag und Genehmigung und allem Drum und Dran. Und mit Maschinen und viel Krach. Mit so viel Krach, daß die Sensoren ständig beschäftigt sind.
Aber man kümmert sich nicht darum, weil man ja weiß, wodurch der Lärm entsteht. Vier Leute bauen etwas Legales, und gleichzeitig arbeiten sechs an unserem Tunnel. Der oberirdische Krach schluckt den unterirdischen, und kein Mensch kommt dahinter, daß wir uns darauf vorbereiten, den Amerikanern heimlich einen Besuch abzustatten.«
Erneut schlug Golombek sich an die Brust. Diesmal sagte er nicht »Uff«, sondern: »Mein Gott!« Und dann: »Das ist die Lösung! Und die Baugenehmigung liegt sogar schon vor!«
»Wieso denn das?«
»Wahrscheinlich muß ich den Antrag erneuern, aber nur der Form halber. Er ist schon einmal durch die Instanzen gegangen und wurde genehmigt. Die Bauzeichnungen sind in meinem Schreibtisch. Kein Haus, sondern ein Schwimmbad. Der Standort ist zwar nicht genau der, an dem Sie Ihr Rechteck eingezeichnet haben, aber ganz in der Nähe. Sehen Sie, Reithalle und Wohnhaus bilden einen Winkel …«, er zeigte es ihr auf dem Plan, »und in diesem Winkel sollte ein Schwimmbad entstehen.«
»Und warum ist es nicht entstanden?«
»Ich hatte plötzlich Angst.«
»Wovor?«
»Ich weiß nicht, inwieweit Sie über meine verstorbene Tochter unterrichtet sind.«
»Wir wissen von dem Reitunfall.«
»Auch, daß sie keine Arme hatte, sondern nur ganz kleine Hände, die an den Schultern saßen?«
»Ja. Contergan.«
»Sie wollte ein Schwimmbad, hat mich immer wieder gebeten. Ich ließ mich überreden, leitete alles ein, aber an dem Tag, als der erste Spatenstich erfolgen sollte, überwog plötzlich wieder die Angst, obwohl Marianne hervorragend schwimmen konnte, sogar im offenen Meer. Im letzten Augenblick sagte ich nein, und dabei blieb es. Jetzt werde ich den Antrag neu einreichen, und ich bin sicher, den krieg’ ich in einer Woche durch. Wie schnell kann Ihre Gruppe denn hier sein?«
»Von heute auf morgen. Wir erscheinen bei Ihnen als auswärtiger Bautrupp, haben bis dahin auch die nötigen Papiere beschafft.«
»Aber es muß fachmännisch gearbeitet werden.« »Das wird es auch. Einer von uns ist Architekt, und zwei andere sind Maschinenbauer.«
»Sehr gut.«
»Aber was sagen wir Ihren Angestellten?«
»Einigen könnte ich Urlaub geben, und die anderen werden außerhalb beschäftigt. Vor allem, wenn wir anfangen, darf niemand in der Nähe sein. Am leichtesten wäre es natürlich, direkt vor der Pufferzone anzusetzen, aber das ist ausgeschlossen. Wir müssen schon in den sauren Apfel beißen und unmittelbar hinter dem Schwimmbad anfangen, denn für die Männer auf den Wachtürmen darf es nur eine Baustelle geben. Ich denke, wir schachten
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