1988 VX (SM)
etwas an«, er zeigte auf Ostende und dann auf die Broersbank.
»Das sind ungefähr zwölf Seemeilen. Ich werde also, sobald ich aus dem Hafen raus bin, auf Südostkurs gehen und von der Westdiep aus auf die Bank zuhalten. Ob wir das Boot dann da draußen ankratzen oder an der Küste, spielt keine Rolle. Wichtig ist nur, daß die Broersbank bei der Rekonstruktion des Falles als Ursache für die Havarie angenommen werden kann. Im übrigen …«
»Aber was, wenn die Sandbank zu tief liegt?«
»Der Tidenhub hier an der flandrischen Küste ist gewaltig. In Calais zum Beispiel – das ist ja nur etwa fünfzig Seemeilen entfernt – beträgt er sieben Meter. Bei tiefster Ebbe kann unser Kiel die Bank mit Sicherheit erwischen, und es weiß ja keiner, wann das Malheur passiert ist. Im übrigen gäbe es, wenn man die Bank als Ursache ausschlösse, noch eine andere Erklärung. Was meinst du, was hier vorm Ärmelkanal an Wrackteilen, Kisten und Containern herumtreibt! Kollisionen mit solchen Brocken sind nichts Ungewöhnliches, und wenn so eine Nußschale – egal, ob aus Holz oder Kunststoff – auf einen Container knallt, dann kracht es ganz schön! Da brauchen wir uns keine Sorgen zu machen. Also: Während ich segle, fährst du mit dem Auto über Nieuport und Veurne dahin, wo wir heute nachmittag waren, nimmst denselben Weg zum Strand runter, den wir ausprobiert haben, und dann zertrümmern wir das Boot. In der Kajüte wird man Haggertys Sachen finden. Dazu kommen die Personalien, die der Verleiher aufgenommen hat, und damit steht die Version, die wir haben wollen. Daß man den Ami nicht findet, ist ohne Belang. Der treibt dann einfach irgendwo im Kanal oder in der Nordsee wie manch anderer ertrunkener sailor .«
Eine halbe Stunde später machte Pierre sich auf den Weg. Er nahm ein Taxi. Die Fahrt zum Bootsverleih dauerte wenige Minuten. Er nutzte sie, indem er mit dem Fahrer so viel Englisch wie möglich sprach. Vor dem kleinen Gebäude an der Anlegestelle zahlte er und stieg aus.
Er hatte Haggertys Reisetasche bei sich, trug die weiße Hose und das rote Freizeithemd, dazu die Schirmmütze, und in der Gesäßtasche steckten die Papiere. Für eine grobe Übereinstimmung seines Gesichts mit dem des Amerikaners hatte Igor während einer Rast im Wald gesorgt. Es war nur eine rasche kosmetische Korrektur mit etwas Bräune aus der Tube und dem aufgeklebten Schnurrbart gewesen.
Er prüfte die Beleuchtung ringsum. Ein paar Bogenlampen erhellten die kleine Ansammlung von Sportschiffen nur mäßig. Also würde es vorwiegend auf den Aufenthalt im Häuschen ankommen.
Er klopfte an die Tür, wurde hereingebeten, trat ein, behielt seine Mütze auf. Die Formalitäten waren schnell erledigt, zumal das Boot auf den Namen Jeff Haggerty bestellt worden war. Der Bootsverleiher, der vor dem Fernseher gesessen und sich ein Fußballspiel angesehen hatte, schrieb die Personalien aus dem Paß heraus und kassierte die Mietgebühr. Pierre leistete die oft geübte Unterschrift, und dann gingen die beiden zum Steg. Auch jetzt wurde englisch gesprochen, obwohl zwischen einem Belgier und einem Mann aus Lyon das Französische nähergelegen hätte.
Pierres Blick glitt über die vertäuten Boote. Sogar ein Fahrzeug vom Typ HALLBERG RASSY lag da. »Donnerwetter, wem gehört denn der ROLLS ROYCE?« fragte er.
»Einem Fabrikanten aus Dover.«
Er bekam eine COMET 11 PLUS, elf Meter lang und dreieinhalb Meter breit. Der Motor hatte dreißig PS.
»Wollen Sie die etwa allein fahren?«
»Nein, nur die ersten paar hundert Meter. Ich hol’ noch meine Freundin ab.« Um die Bedenken des Mannes zu zerstreuen, gab er sich besonders kundig, prüfte, ob genug Diesel vorhanden und der Wassertank gefüllt war, besah sich die Seekarten und das nautische Besteck, guckte sogar nach, ob der Kocher funktionierte, und fragte, wieviel Propangas noch in der Flasche sei. Er erfuhr, daß die Menge für acht bis zehn Tage reichen würde. Er inspizierte die Segelsäcke und die Sicherheitsausrüstung, untersuchte das Tauwerk und verabschiedete sich dann von dem Bootsverleiher, gab ihm die Hand und lachte höflich über dessen abgegriffenes »Mast- und Schotbruch!«
Er schlug die Segel an, legte sich die Schoten zurecht, prüfte, welches Fall für welches Segel in Frage kam, ließ schließlich den Motor an, wartete, bis der Verleiher die Leinen losgemacht hatte, holte die Fender ein, stellte sich ans Ruder und gab etwas Gas, schaltete auch die Beleuchtung an. Er drehte sich noch
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