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1988 VX (SM)

1988 VX (SM)

Titel: 1988 VX (SM) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hinrich Matthiesen
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vermutlich heimgesucht von zwei Übeln: seinen Gedanken und unseren Ratten. Fast einen Tag und eine Nacht ohne Kontakt, ohne Information, das ist eine gute Zeit. Die Erfahrung sagt: In den ersten zwei Stunden regiert der Wille, jede Frage mit wütendem Protest zu quittieren. Dann folgt für ein paar Stunden die Märtyrerphase. Das Opfer beschließt, den Mund nicht aufzumachen, komme, was da wolle. Danach baut der Trotz sich langsam ab.«
    »Was passiert, wenn man ihn im Depot vermißt?« fragte Hilario.
    »Es läuft andersherum«, antwortete Igor. »Man wird ihn gar nicht vermissen, weil die Meldung vom Segelunfall noch vor dem Ende seines Urlaubs eintrifft. Und das ist auch besser. Sonst gäbe es nämlich Alarm, und die Sicherheitsvorkehrungen würden verdoppelt.«
    »Und das«, sagte Robert, »könnten wir grad zu Beginn der Bauarbeiten nun wirklich nicht gebrauchen!« Um acht Uhr zog Robert eine Strumpfmaske aus seiner Hosentasche und stülpte sie sich über den Kopf. 
    »Er soll also am Leben bleiben?« fragte Igor.
»Er soll glauben, daß er am Leben bleibt. Wenn ich unmaskiert zu ihm gehe, rechnet er sich keine Chance aus und wird also lügen. Darum der Lappen vor der Visage, und jeder von euch macht es von jetzt an genauso.« 
    »Aber«, warf Igor ein, »Pierre und ich waren ohne Maske, als wir ihn kassiert haben.«
»Okay. Ein Regiefehler. Läßt sich nicht mehr ändern. Sophie, gibst du mir mal den Bogen rüber?«
Sophie drehte sich auf ihrem Stuhl um, nahm ein großes Blatt Papier vom Küchenschrank und reichte es über den Tisch.
»Danke.«
Robert rollte das Papier zusammen, verließ die Küche, betrat den Flur und öffnete dort eine in den Fußboden eingelassene Luke, stieg hinab. Unten schaltete er das Licht ein. Haggerty, der an Händen und Füßen gefesselt auf dem
steinernen Boden saß, kniff die Augen zusammen. »Hallo«, sagte Robert, »passen die Klamotten, die wir dir geschenkt haben?«
Der Gefangene antwortete nicht. Robert schwenkte die Papierrolle. »Jetzt geht es an die Schulaufgaben, aber laß dich erstmal angucken! Wieso fieberst und zitterst du nicht? Du brauchst doch Drogen!«
»Wenn ich Drogen bräuchte, wäre ich nicht bei einer chemischen Kampftruppe.«
Robert beugte sich zu ihm hinunter, krempelte Haggertys rechten Hemdsärmel hoch, sah in der Armbeuge dicht bei dicht die kleinen blauen Flecken. »Und das?« »Wenn ihr nur das meint! Ich bin Diabetiker und spritze mir Insulin. Wenn ich länger damit aussetze, kippe ich weg. Ins Koma. Dann hättet ihr genausogut einen Sack Kartoffeln kidnappen können.«
»Quatsch nicht! Wo hattest du denn dein Insulin? In deiner Reisetasche war es nicht.«
»Ich hatte es in der Hemdtasche. Wahrscheinlich ist es beim Picknick rausgefallen.«
»Erzähl mir noch ein bißchen mehr über deinen Diabetes! Mal sehen, ob wir’s schlucken.«
»Von mir aus! Also, die Krankheit kann zwei Ursachen haben. Man kann sie sich anfressen oder vererbt kriegen. Meine ist angefressen. Ich war, bevor ich zur Chemie kam, Furier einer Schützeneinheit in South Dakota. Da hatten sie den Bock zum Gärtner gemacht. Ich hab’ gefuttert wie ein Verhungernder und gesoffen wie ein Loch.«
»Ich will keine privaten Geschichten. Die kann jeder erfinden. Ich will was über Diabetes hören!«
»Ja, also, mit Vor- und Nachnamen heißt die Scheiße  Diabetes mellitus , und sie ist ’ne Drüsenpanne. Die Bauch-Speicheldrüse, die den Stoffwechsel reguliert, meutert. Die Blutzuckerwerte gehen hoch, und auch im Harn ist Zucker. Man muß dauernd pinkeln, hat großen Durst. Man kriegt ’ne Fettleber, neigt zur Zirrhose. Früher war Diabetes natürlich schlimmer als heute; da gab es noch kein Insulin. Ja, was noch? Man muß viel Eiweiß zu sich nehmen. Aber das mit dem Koma ist wirklich ’ne ernste Sache, und wenn ihr mir kein Insulin besorgt, werde ich euch nicht viel nützen. Einmal, das war zu Hause in South Dakota, da hab’ ich …«
Robert ging wortlos nach oben, warf die Luke zu, kehrte in die Küche zurück.
»Das ging ja schnell«, empfing ihn Zayma.
»Wir haben den falschen Mann«, sagte Robert. Sophie, die sich gerade einen Apfel schälte, legte ihr Messer auf den Tisch. 
    »Wieso den falschen Mann?« 
    »Er ist nicht drogenabhängig.«
»Aber ich hab’ doch die vielen Einstiche gesehen!« 
    »Er ist Diabetiker, muß sich Insulin spritzen.«
»Verdammt!« sagte Hilario.
Igor meinte: »Ist doch egal, was er sich spritzt. Hauptsache,

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