Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
1988 VX (SM)

1988 VX (SM)

Titel: 1988 VX (SM) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hinrich Matthiesen
Vom Netzwerk:
im dreiundvierzigsten Jahr des Friedens.«
»Ist es für Sie dann nicht nur … ein Sport, die Granate da herauszuholen?«
Er lachte. »Nein, was den Sport betrifft, da reite ich lieber. Und ich hab’ auch nicht vor, mir zu beweisen, daß ich noch gut bin für irgendwelche Tollkühnheiten. Wenn ich das wollte, wäre es sinnvoller, den Mount Everest zu besteigen oder Löwen zu jagen.« Der Fuß lag noch immer in seiner Hand, und sie ließ ihn da. »Aber es geht mir«, fuhr er fort, »um das tollkühne Spiel, das die anderen treiben. Mit unserer Erde. Das wird allmählich zu riskant für uns alle.«
Sie schwiegen eine Weile, hingen ihren Gedanken nach, und dann, ganz unvermittelt, ließ er ihren Fuß los. Und obwohl es keine Parkbank war, auf der sie saßen, sondern eine unbequeme Stahlschiene, umarmte er Nadine, zog sie zu sich heran, küßte sie, und sie erwiderte seinen Kuß. Er öffnete den Reißverschluß ihres Overalls, streichelte die kleinen, festen Brüste. Doch als seine Hand an ihrem Körper hinabgleiten wollte, sagte sie:
»Nein, bitte nicht!«
»Nie?« fragte er.
»Ich weiß es noch nicht«, antwortete sie, aber sie dachte: Schade, daß dieser Mann bald sterben muß!

5.
    Katharina hatte das Sa-Penya Viertel durchstreift, sich in den bunten Boutiquen umgesehen, den Straßenmusikanten zugehört, das fröhliche, zum Teil burleske Ferienvolk bestaunt, und nun verließ sie den malerischen Bezirk, weil sie müde war von der vielen Sonne, den vielen Stimmen und vom Gehen über das Kopfsteinpflaster.
    Sie kehrte zurück zur Plaza Vara de Rey , wo sie das Auto geparkt hatte, mochte dann aber doch noch nicht in ihr einsames Haus, ging also am Wagen vorbei und hielt auf das Boulevard-Café MONTESOL zu. Sie bekam einen Platz im Freien, mußte sich den kleinen Tisch allerdings mit einem älteren spanischen Paar und einem jungen Neger teilen.
    Sie bestellte Whisky mit Soda, sah erst dann auf die Uhr. Es war dreizehn Minuten nach fünf, also schon fast Abend. Eine ganze Woche lang hatte sie ihren Vorsatz eingehalten, tagsüber keinen einzigen Drink zu nehmen, und fühlte sich daraufhin viel besser als in der ersten Zeit.
    Sie zahlte gleich, trank, zündete sich eine Zigarette an. Das Paar widmete seine ganze Aufmerksamkeit den Vorübergehenden. Der Neger las Oscar Wilde’s BILDNIS DES DORIAN GRAY. Wie sie auf dem Schutzumschlag gesehen hatte, war es eine englische Ausgabe.
    Sie betrachtete den Schwarzen, dachte: eine gute Mischung! Gepflegt, groß, muskulös, vielleicht etwas melancholisch. Als er ein Insekt verscheuchte – er tat es mit einer ganz leichten, eleganten Bewegung –, verspürte sie plötzlich eine starke Affinität, stellte sich vor, daß die tiefbraunen schlanken Finger mit den hellen Nagelmonden sie berührten. Es fiel ihr schwer, das Alter des Mannes zu schätzen. Vielleicht fünfundzwanzig, dachte sie. Kann sein, daß er Student ist und die Semesterferien auf Ibiza verbringt.
    Er trank einen Tee, und sie fand es amüsant, zuzusehen, wie die dunkle Hand die weiße Tasse hob, sie aber nicht gleich zum Munde führte, sondern in halber Höhe beließ, bis die Seite zu Ende gelesen war. Erst dann nahm er einen Schluck, setzte die Tasse ab, blätterte um, las weiter.
    Mit einem flüchtigen Blick prüfte sie ihr Aussehen. Sie trug ein langes lilafarbenes Kleid aus leichtem Baumwollstoff, das weit geschnitten war. Sie besaß ein halbes Dutzend solcher Gewänder in verschiedenen Farben, hatte sie alle auf der Insel gekauft. In den letzten Jahren hatte sie ein bißchen zur Fülle geneigt, aber das war jetzt anders. Die vielen Sonnenbäder, das tägliche Schwimmen, die schier endlosen Wege beim Golfspielen hatten dafür gesorgt, daß sie in drei Wochen sechs Kilo abnahm. So war sie nun eigentlich schlank und dazu tiefbraun. Ihr Haar hatte sie dunkel nachgetönt.
    Das spanische Paar stand auf, rüstete zum Gehen. Auf das freundliche »Que les vaya bien!« des Mannes, also daß es den am Tisch Verbleibenden gutgehen möge, antwortete der Neger mit einem flüssigen »Gracias, igualmente«, einem Danke-Gleichfalls. Katharina, die kein Spanisch sprach, beschränkte sich auf ein freundliches Lächeln.
    Ob ich ihm gefalle? Oder ist er womöglich vom anderen Ufer? Immerhin trägt er einen Ohrring. Aber sonst sieht er eigentlich nicht so aus, ist mit seinen blauen Jeans und seinem kurzärmeligen weißen Hemd auch nicht die Spur auffällig angezogen, und seine Bewegungen sind einfach nur schön. Mein Gott, diese

Weitere Kostenlose Bücher