Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
1988 VX (SM)

1988 VX (SM)

Titel: 1988 VX (SM) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hinrich Matthiesen
Vom Netzwerk:
entwendete Granate ginge irgendwann hoch. Die Angst mobilisiert das Volk, und es macht dann so viel Wirbel, daß die Regierung gar nicht anders kann als das Zeug abschaffen. Heute muß man schon für regelrechte Hysterie sorgen, wenn man die Leute auf die Barrikaden treiben will. Leider. Diese Aufgabe haben wir, zusammen mit Ihnen, übernommen, und wir sollten nicht davon abrücken, nur weil da mal wieder ein Sirenengesang aus Genf kommt.«
Ein längeres Schweigen setzte ein, und dann sagte Golombek: »Ja, Sie haben mich überzeugt. Als Demagoge würden Sie sehr erfolgreich sein. Wie beruhigend, daß unsere Sache einem guten Zweck dient!«
»Da haben Sie mir zwar ein recht zweifelhaftes Kompliment gemacht, aber Hauptsache, Sie stehen wieder auf dem Boden der Tatsachen! Und jetzt muß ich zurück zu meinen Leuten.«
    Kurz nachdem Robert gegangen war, wurde an die Tür geklopft, und auf Golombeks »Herein« kam Laura ins Zimmer und fragte, ob er noch etwas wünsche. Er verneinte und sagte ihr gute Nacht. Sie ging aber nicht, sondern trat an seinen Schreibtisch heran und fragte mit der ihr eigenen Direktheit:
    »Kommt Ihre Frau bald wieder?«
Er sah sie erstaunt an. »Warum willst du das wissen?« »Ich mache mir Sorgen. Marianne ist nicht mehr da, Ihre
    Frau ist weg; so lange war sie allein noch nie weg, und Sie haben hier die Bauarbeiten am Hals. Sie sehen nicht gesund aus, rauchen auch zuviel. Ihre Aschenbecher sind jetzt immer doppelt so voll. Und es laufen so merkwürdige Leute auf unserem Gelände herum.«
    »Mach dir keine Gedanken, Laura! Das mit dem Bau und den Leuten und meinem Zustand ist nur vorübergehend, und meine Frau wird bald wieder hier sein. Nun schlaf gut!«
    »Danke, Sie auch!«
Er war wieder allein, stützte sein Gesicht in beide Hände. Irgend etwas stört mich an Robert, dachte er. Er ist so gewitzt, und das paßt im Grunde gar nicht zu seinem Idealismus.
    Er stand auf, begann, unruhig hin und her zu gehen, fragte sich plötzlich, ob die gewagte Aktion ihn nicht völlig aus der Bahn werfen würde. Es ginge doch auch anders! Wenn er das Gestüt verkaufte, könnte er trotz des örtlich bedingten Wertverfalls eine Summe zusammenbringen, die es ihm ermöglichte, sich ein Stück unbeschädigter Natur in Kanada zu suchen oder in Australien, jedenfalls in einer Gegend, in der er kein VX vor der Tür hätte. Oder vielleicht auf Ibiza! dachte er. Es braucht ja nicht gleich bis nach Übersee zu gehen. Ich könnte mir da, abseits vom Touristentrubel, einen Rancho kaufen, Pferde züchten und die zwanzig Jahre, die ich vielleicht noch habe, in Ruhe und Frieden verbringen. Katharina würde sicher mitmachen, und wenn nicht, müßte es auch ohne sie gehen.
    Eine ganze Weile befaßte er sich mit diesem Plan, für den aber auch die Balearen-Insel nur einer von vielen möglichen Plätzen war, träumte sich in eine stille, unbedrohte Existenz hinein, bis ihn schließlich die Erinnerung an seinen Vater zurückholte.
    Ein Bauer, wie er im Buche steht: kraftvoll, wortkarg, aufrichtig, dickschädelig und fest verwurzelt mit dem Besitz, den er in jungen Jahren übernommen und im Laufe seines langen Lebens vergrößert hatte. Kein knurriger, aber ein knorriger Mann, einer mit Kanten, an denen man sich stoßen konnte, was er, Frank, als kleiner Junge so manches Mal zu spüren bekommen hatte. Und nicht nur als ein kleiner, sondern auch noch als großer Junge, wie zum Beispiel an jenem Tag, als er während der Semesterferien mit ihm aneinandergeriet.
    Sie hatten zu Abend gegessen, der Vater, die Mutter, zwei Angestellte und er selbst. Es gab damals noch keine Pferdezucht auf dem Hof, sondern nur die Landwirtschaft, aber die in großem Rahmen. Der Vater hatte es sich schon früh in den Kopf gesetzt, seinen drei Söhnen je einen eigenständigen Betrieb zu hinterlassen und nicht etwa eine gedrittelte Landstelle, für die der Kampf ums Existieren vorprogrammiert war. Und das war ihm auch gelungen, das hieß, die drei Höfe hatte er beieinander, nur die Söhne waren nicht mehr vollzählig. Die beiden älteren, Ludwig und Richard, waren, der eine achtzehn-, der andere neunzehnjährig, im letzten Vierteljahr des Krieges gefallen. So war also nur Frank, der Nachzügler, übriggeblieben. Daß er sein Abitur machte und anschließend auf die Universität ging, um Agrarwissenschaft zu studieren, war dem alten Bernhard Golombek recht gewesen.
    Der Vater hatte während der ganzen Mahlzeit über die Amerikaner räsoniert, die ihm die

Weitere Kostenlose Bücher