1988 VX (SM)
nur eines tun: immer wieder die Bürger mit der Nase darauf stoßen, daß hier auf deutschem Boden chemischer Kampfstoff bereitgehalten wird von den wenigen, die die Macht haben, während der riesige Rest nur allzu bereit ist, sich daran zu gewöhnen! Das, genau das ist unsere Tragödie!«
»Ob du dich nicht«, wagte Fehrenkamp den Monolog zu unterbrechen, »zu sehr von deinen Gefühlen leiten läßt?«
»Wovon soll ich mich denn sonst leiten lassen? Etwa vom Verstand? Der würde mir ja doch nur einzuhämmern versuchen: Es hat alles keinen Zweck! Nein, mein Lieber, die Gefühle sind das beste, was ich habe, und darum bekommen sie den Vortritt.«
»Wollen wir eine Partie Schach spielen, damit du dich beruhigst?«
»Ich will mich ja gar nicht beruhigen.«
»Aber dann sag mir endlich: Was willst du – konkret – tun?«
Zu gern hätte Golombek jetzt dem Freund geantwortet: mit einer VX-Granate im Fernsehen auftreten und dem Millionenpublikum eine Lektion geben! Doch er sagte:
»Vielleicht einen Verein gründen, der sich die Aufgabe stellt, die Menschen aus ihrer Lethargie herauszureißen.«
Der von draußen eindringende Lärm verebbte. Die Ramme machte eine Pause. Fehrenkamp stand auf, trat ans Fenster, sah hinaus. »Welche Firma hast du da eigentlich engagiert? Ich kenne keinen einzigen der Arbeiter.«
»Die sind auch nicht von hier. Ich habe mir verschiedene Angebote kommen lassen, und diese Leute gaben das günstigste ab.«
»Und wann ist die Einweihung?«
»Ich schätze, in zwei Wochen. Ihr werdet natürlich eingeladen. Ich weiß zwar nicht, ob Katharina dann schon zurück ist. Im Moment hat sie es jedenfalls mehr mit dem Golfspielen als mit dem Schwimmen.«
»Und der Strohwitwer? Hat der nicht mal wieder Lust zu einem Skat?«
»Lust schon, aber wir machen das lieber erst, wenn hier die Arbeit getan ist.«
»Gut, dann werde ich jetzt gehen.«
Golombek machte keinen Versuch, Fehrenkamp zum Bleiben zu bewegen, stand auf. Es trieb ihn zurück zu den anderen. Wenn sie ohne weitere Pannen vorankämen, würde der Tunnel in vier Tagen fertig sein. Das wäre ein Dienstag. Und wenn sie es dann schafften, die Halle innerhalb von zwei Tagen wieder in den alten Stand zu versetzen, könnten sie in der Nacht von Donnerstag auf Freitag ins Depot eindringen, also in einer knappen Woche. »Wirklich, Markus«, sagte er, »ich möchte erstmal diesen Bau hinter mich bringen.« Er begleitete seinen Gast bis zum Wagen, winkte ihm nach. Erst als Fehrenkamp in die Straße eingebogen war, kehrte er in die Reithalle zurück.
9.
Eine dpa-Meldung schreckte ihn auf. Doch diesmal handelte es sich nicht um einen Flugzeugabsturz in der Nähe des Depots und ebensowenig um einen Mord an einem US-Offizier. Im Grunde war es auch eher ein freudiges Erstaunen, das ihn erfaßte. Er nahm die Zeitung vom Tisch, verließ die Bibliothek, suchte nach Robert, fand ihn schließlich in der Reithalle bei einer Unterredung mit seiner Gruppe.
Zunächst verwunderte ihn der Anblick der so zahlreich Versammelten, und er fragte sich, warum man ihn nicht dazugebeten hatte, doch Robert klärte die Situation sofort:
»Hallo, Herr Golombek! Wir besprechen gerade unseren nächsten Einsatz. Wir haben eine Aktion zum Schutz des Wattenmeeres vor und überlegen, wie wir an die Bohrtürme in der Eibmündung herankommen. Möchten Sie zuhören?«
»Eigentlich hätte ich Sie gern gesprochen. Aber das kann auch warten.«
»Ich komme mit; wir wollten sowieso grad eine Pause machen.«
Sie gingen in die Bibliothek, setzten sich, und Golombek schlug seine Zeitung auf. »Hier! Eine Meldung aus Genf. Hören Sie! ›Pierre Morel, derzeitiger Vorsitzender der UNO-Abrüstungskonferenz, erklärte, in den monatelangen Verhandlungen um das Verbot aller chemischen Waffen seien bemerkenswerte Fortschritte erzielt worden. Er ist der Auffassung, daß ein Abkommen über das weltweite Verbot der C-Waffen noch im Laufe dieses Jahres zustande kommen könnte. Er nannte auch den Grund für seine optimistische Einschätzung der Lage: Die UdSSR hat akzeptiert, daß in den Produktionsstätten und den Depots der C-Waffen jederzeit Verdachtskontrollen durchgeführt werden.‹ Soweit der Text. Also, in absehbarer Zeit könnte das Depot verschwinden, und ich frage mich, ob unser Vorhaben noch einen Sinn hat, wenn die VX-Granaten sowieso bald abgezogen und vernichtet werden.«
Robert lächelte. Fast mitleidig, wie es schien. »Sind Sie wirklich so gutgläubig?« fragte er. »Es besteht nicht der geringste
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