1988 VX (SM)
Katharina bleibt ein paar Wochen im Süden, und ich baue unterdessen unser Schwimmbad.«
»Ja, ich hab’ mir’s angesehen. Aber wieso mußt du das Fundament stützen? Ihr habt doch in so geringer Tiefe noch kein Grundwasser.«
»Grundwasser nicht, nur einen alten Flußlauf, den mein Großvater, als er hier baute, Gottseidank um einige Meter verfehlt hat. Ist kein Problem; mit den Pfeilern kriegen wir das hin. Der Lärm ist allerdings barbarisch.«
»Als wir vor Jahren an der Nordsee Ferien machten, wurde in der Nähe unseres Hotels ein sechsstöckiger Kasten gebaut, und zwar genau auf einem alten Priel. Da hat man auch Stützpfeiler gesetzt, mit einer Ramme, wie du sie draußen stehen hast. Wenn wir aßen, mußten wir die Tassen und Teller festhalten, damit sie nicht vom Tisch sprangen. Bei einem der Nachbarn ging sogar ein Riß durchs Haus.«
Fehrenkamp sah sich im Raum um. »Die Decke scheint noch heil zu sein, aber wer weiß, wie die Wände hinter den Büchern aussehen!«
»Ich geh’ jeden Abend durchs Haus und guck’ mir alles genau an. Großvater scheint damals eine Festung gebaut zu haben. Bis jetzt sind nur zwei Fensterscheiben zu Bruch gegangen.«
»Und was sagen deine Nachbarn?«
»Ich hab’ zum Glück keine. Nur die Amis.«
»Die meine ich ja.«
»Mit denen hab’ ich gesprochen. Sie waren mal kurz hier, gleich am Anfang, und dann nicht wieder.« »Ich hoffe, daß sie bald aus unserer Gegend verschwinden. Gewisse Aussichten bestehen ja dafür, denn es heißt doch, daß man die chemischen Waffen in die Abrüstungsverhandlungen einbeziehen will.«
»Ja, so heißt es. Aber es gibt auch die Version, daß zum Beispiel die in der Bundesrepublik lagernden Bestände modernisiert werden sollen.«
Fehrenkamp zog eine Zigarre hervor, zündete sie an. »Es ist seltsam«, sagte er dann, »in der Nähe eines solchen Waffenlagers zu leben. Als wir damals nach Wasloh gezogen waren und man uns einige Zeit später erklärte, was die Amerikaner da hinter ihrem Zaun verwahren, packte uns das nackte Entsetzen, aber mittlerweile leben wir damit wie mit dem Wetter oder wie mit einem Nachbarn, den wir nicht schätzen und darum gar nicht auf Rechnung haben.«
»Und gerade das scheint mir bedenklich«, antwortete Golombek, »ihn nicht mehr auf Rechnung zu haben, obwohl er eines Tages unser aller Rechnung durcheinanderbringen kann. Ich finde, Gewöhnung ist das Schlimmste. Warum müssen wir das Lager akzeptieren, als wäre es unvermeidbar? Ich weiß, daß jeder NATO-Experte, wenn es um Argumente geht, mich unter den Tisch reden kann, allen voran unser Verteidigungsminister mit seiner bestechenden Eloquenz. In einem Streitgespräch würden die mich kleinkriegen, und doch bin ich sicher, daß ich recht habe und die anderen sich irren. Wenn auf unserer Erde das Abscheulichste und Gefährlichste in, sagen wir mal, der Größe 1000 vorhanden ist und uns tagaus, tagein bedroht, kann mir niemand einreden, daß das Herunterschrauben dieses Potentials auf den Wert Null falsch ist.«
»Dann würdest du lieber rot sein als tot?«
»Ich glaube nicht, daß Gorbatschow Westeuropa täuschen will, um es anschließend zu vereinnahmen.«
»Aber andere glauben es, und darum geben sie nicht nach. Ich finde, man muß ihnen das Recht auf ihre Sorge zubilligen.«
»Und was ist mit meiner Sorge? Es gibt so viele Unruheherde in der Welt, den Nahen und den Fernen Osten, Lateinamerika, Afrika. Stell dir mal vor, alle diese Leute hätten die Atom-, die Bio- und die Chemiewaffen in Händen! Außerdem, je mehr davon produziert wird, desto größer ist die Gefahr, daß eine Gruppe von KamikazeKämpfern in ihren Besitz gelangt. Glaub mir, Markus, es gibt keinen vernünftigen Grund, einen so teuflischen Trumpf im Ärmel zu halten. Irgendwann passiert es, daß die Karten anders verteilt sind, und dann ist das Spiel zu Ende. Wir haben das VX-Gas hier vor der Tür, und darum setzt mein Kampf hier vor der Tür ein. Ich will diese Nachbarschaft nicht! Für mich ist das VX etwas anderes als das Wetter, denn es ist von den Menschen gemacht, und die Menschen sind auch fähig, es zu benutzen.«
»Dann frage ich dich jetzt zum hundertsten Male: Was willst du dagegen tun?«
»Zunächst muß die Frage wohl lauten: Was kann man dagegen tun? Natürlich ist es Unsinn, den Mann umzubringen, der zufällig das Camp leitet, denn die Amerikaner schicken natürlich einen Nachfolger. Was also diese VITANOVA mit Colonel Braden gemacht hat, war vollkommen sinnlos. Nein, wir können
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