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1988 VX (SM)

1988 VX (SM)

Titel: 1988 VX (SM) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hinrich Matthiesen
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Kandidaten fiel dann die Aufgabe zu, diese Stadt durch Fragen herauszufinden, wobei die Antwort jeweils nur Ja oder Nein sein durfte. Was, wenn er als Zuschauer an der Sendung teilnähme? Irgendwann würde er seinen Platz verlassen, auf die Bühne gehen, den Anwesenden und den Millionen Fernsehzuschauern die zu einer handlichen Taschenbombe umgebaute VX-Granate zeigen und ihnen erzählen, was es damit auf sich habe und daß man etwas unternehmen müsse. Er würde den Finger am Auslöser haben, würde drohen, die Bombe zu zünden, wenn jemand ihm in die Quere käme oder den Saal verließe. Er würde sich das Zuhören erzwingen und ebenso den freien Abzug.
Er stand auf, ging in sein Arbeitszimmer, fand die Zeitschrift, nahm sie mit, legte sich wieder hin und las den Artikel ein zweites Mal durch. Ja, dachte er dann, ich werde mich um eine Eintrittskarte bemühen! Und ich könnte noch mehr tun! Was, wenn ich Kontakt zur Presse aufnähme? Ich bin sicher, die großen deutschen Illustrierten würden sich um die Geschichte reißen. Aber das geht nicht ohne Roberts Einverständnis.

11.
    Es lag nun schon gut zwei Wochen zurück, daß der BKAMann Cornelius Lemmert die im ostfriesischen Honnewarf angetriebene Leiche gesehen hatte, und immer noch gab der tote Sergeant ihm und seinen Kollegen Rätsel auf, die sich vor allem aus dem ganz ungewöhnlichen Sachverhalt nährten: acht Tage in der Nordsee verschollen, aber erst am siebten dieser acht ertrunken!
    Lemmert hatte seinen freien Tag, genoß ihn jedoch, wie gewohnt, nur halbherzig, weil es schon so oft geschehen war, daß man ihn trotzdem gerufen hatte. Dann ging es natürlich immer um irgendwelche Notstände, und die brachten nun mal die Ärgernisse und die Adrenalinstöße.
    Es hatte den Anschein, daß es diesmal gutgehen würde. Es war schon zehn Uhr am Abend, und seine Dienststelle hafte ihn bis jetzt in Ruhe gelassen. Aber so ganz traute er dem Frieden noch nicht, denn man hatte ihn auch schon um Mitternacht geholt und sogar noch später. Er hoffte inständig, diesmal bliebe das schrille Läuten aus, denn er fühlte sich miserabel, saß an seiner Hausbar und trank heißen Fliederbeersaft, weil er sich erkältet hatte. Es war die typische Sommererkältung, hartnäckig und boshaft wie ein falsch behandelter Tripper. Dabei hatte er schon alles Mögliche ausprobiert, Hustensaft, Zitrone pur, mentholhaltige Salbe auf der Brust, Tabletten. Nun war er beim Fliederbeerrezept seiner Mutter angelangt, aber auch das schien nicht zu helfen.
    Wie die meisten Polizisten nahm er häufig seine dienstlichen Probleme mit nach Haus. Sein Kopf war kein Fernsehapparat, bei dem man per Knopfdruck das Programm wechseln konnte, und so dachte er auch jetzt, als er in seinem ausgebeulten Jogginganzug auf dem hohen, unbequemen Barhocker saß und den heißen Saft schlürfte, über den amerikanischen Unteroffizier nach, von dem es hieß, er sei in Ostende zu einem Segeltörn aufgebrochen und habe schon nach einer Fahrt von wenigen Meilen Schiffbruch erlitten.
    Im Personalblatt des Mannes war ihm ein Datum aufgefallen. Es hatte, was die kriminologische Verwertbarkeit betraf, keinerlei Gewicht und beruhte auf einem Zufall, schuf nichts als eine gewisse persönliche Verbindung zwischen ihm und dem Toten. Haggerty war am selben Tag und im selben Jahr geboren wie er. Am 26. Februar des Jahres 1947 war in einem Ort namens Winner in South Dakota ein zerknittertes schreiendes Etwas in diese Welt gepreßt worden, und zur selben Zeit hatte im westfälischen Rietberg die Hebamme ihn, den ebenso zerknitterten und ebenso schreienden Cornelius Lemmert, wie ein Kaninchen hochgehalten.
    Also, mein lieber Jeff, dachte er, ich werd’ mich um dich kümmern! Ich krieg’ raus, was mit dir passiert ist! Immerhin hatten unsere Mütter zur selben Zeit den großen Schmerz und die große Freude, und vielleicht quälte dich und mich einige Monate später zur selben Stunde der erste Zahn.
    Er schob den geleerten Becher zur Seite, zündete sich eine Zigarette an, obwohl er wußte, daß sie ihm nicht schmecken würde. Er glitt vom Hocker, hustete sich durch das unaufgeräumte Wohnzimmer, stieß gegen den Billardtisch, schleppte sich durch den langen Flur bis ins Schlafzimmer, legte sich aufs Bett und rekapitulierte, was bis jetzt in Erfahrung gebracht worden war. Es gab neben den dominierenden Fakten, daß Haggerty ertrunken und das gemietete Boot explodiert war, noch ein paar Einzelheiten, die man allerdings – wieder einmal

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