1991 Atlantik Transfer (SM)
hatte sich beim Warten aufs Gepäck eine Schwierigkeit ergeben. Einer der ersten Koffer, die auf dem rotierenden Band erschienen, war der dunkelgraue SAMSONITE Luise Pohlmanns. Maibohm erkannte ihn an dem kleinen ledernen Anhänger, und da war dann eine prompte Reaktion vonnöten, denn sollten sie ihr Opfer jetzt aus den Augen verlieren, hätten sie mit Sicherheit größte Mühe, die Fährte wiederaufzunehmen. Die Zahl der in Frage kommenden Hotels würde in die Hunderte gehen, und außerdem konnte es ja auch ein Privathaus sein, in dem Luise Pohlmann abstieg, vielleicht sogar das ihres Mannes. In Sekundenschnelle – der Gepäckträger hatte den SAMSONITE bereits auf seine Karre geladen – vereinbarten sie, daß Maibohm sich zunächst allein an ihre Fersen heften würde; Nielson und Thaden sollten im SHERATON auf seinen Anruf warten.
Und dann setzte die Jagd ein. Zum Glück hatte Maibohm einen Fahrer erwischt, der sich, angespornt durch die in Aussicht gestellte Erfolgsprämie, geradezu einen Sport daraus machte, das vor ihm fahrende Taxi nicht aus den Augen zu verlieren.
Einen Vorteil hatte der Mann: Der verfolgte Wagen war ein cocodrilo, ein grün-schwarzes Auto mit auffällig gezackter Zeichnung. Aber die Rush-hour hatte bereits eingesetzt, und das hieß: Abertausende von mehr oder weniger verkehrssicheren, lärmenden und stinkenden Fahrzeugen waren unterwegs. Auf der Avenida Churubusco und dem Viaducto, den breiten Hauptverkehrsadern, verlief alles noch halbwegs geordnet, weil die großen Ströme dort übersichtlich blieben, aber als es in das völlig überfüllte Straßennetz der City ging, war’s vorbei mit der Übersicht. Da hieß es bloß: durch! Und das war nur mit Stoßstangenkontakt zu schaffen, der einzigen Methode, die von links und rechts in die eigene Reihe drängenden Fahrzeuge abzuwehren. Was Maibohm zusätzlich nervös machte, waren die vielen Kinder, die jeden Stop fürs Geschäft nutzten. Sie turnten zwischen und sogar auf den Autos herum, um blitzschnell für ein paar Pesos die Windschutzscheiben zu säubern oder den Insassen Kaugummi, Süßigkeiten oder Zeitungen zum Kauf anzubieten. Allerdings richtete sich das Interesse der kleinen dunkelhäutigen und schwarzäugigen Gestalten vorwiegend auf Privatwagen.
Als sie schließlich vom Paseo de la Reforma in die Avenida Juarez einbogen und es, nach einigen erfolgreich überstandenen Trennungen, wieder das Krokodil war, das unmittelbar vor ihnen fuhr, atmete er auf, zumal der Chauffeur gerade erklärt hatte, nun werde es wohl nicht mehr lange dauern, denn wahrscheinlich sei eins der großen Hotels im Zentrum das Ziel. Und tatsächlich, kurz danach fand die Fahrt vor dem Hotel ALAMEDA ihr Ende.
Um sechs Uhr hatten sich auch die drei Männer im ALAMEDA einquartiert. Und nicht nur das! In der Auffahrt stand ein CHEVROLET, den sie gemietet hatten. Der Fahrer würde Tag und Nacht bereit sein, damit es, falls Luise Pohlmann plötzlich aufbrechen sollte, nicht erst zu einer langen und womöglich erfolglosen Suche nach einem Taxi käme.
Jetzt saßen sie im Foyer und hielten verstohlen Ausschau.
Um halb sieben trat Luise Pohlmann aus dem Lift. Sie gab den Zimmerschlüssel ab und ging hinaus. Maibohm und Thaden eilten ihr nach und sahen, daß sie ein Taxi nahm. So galt es, ein zweites Mal an diesem Tag einem Wagen durchs Verkehrsgewühl zu folgen. Doch die Fahrt war nur kurz. Auf der Avenida Insurgentes hielt das Taxi vor einem modernen Gebäude, einem sechsstöckigen Kubus, der unten einige Geschäfte und in den oberen Stockwerken offenbar nur Büros beherbergte. Maibohm und Thaden beobachteten, wie Luise Pohlmann sich in dem breiten, überdachten Entree umsah, dann eine große Messingtafel studierte und schließlich die rechter Hand gelegene Cafeteria betrat.
»Hinterher?« fragte Thaden.
»Ja«, antwortete Maibohm, »aber nicht wir beide. Ich übernehme das.«
»Und wenn sie da nur was trinken will?«
»Wer im ALAMEDA wohnt, geht nicht gezielt in diese Cafeteria, um da was zu sich zu nehmen. Paß auf: Falls sie schon bald wieder rauskommt, ich da aber noch ein bißchen rumschnüffeln will, fährst du ihr allein nach. Wir sehen uns dann im Hotel.«
»Okay.«
Maibohm stieg aus, ging in das kleine Lokal und setzte sich sofort an einen der Tische. Es waren nur wenige Gäste da, ein Eis essendes Pärchen und ein alter, mit einem Poncho bekleideter Mann, der ein Kind bei sich hatte. Der Alte trank ein Bier, und das etwa achtjährige Mädchen
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