1991 Atlantik Transfer (SM)
Fischerboote, die nun mit ihrem Fang in den Hafen zurückkehrten, nach Veracruz oder Boca del Rio.
Ein jämmerliches Rufen schreckte ihn aus seinen Gedanken auf. Ein ums andere Mal hörte er: » Ayúdame! Help me! Ayúdame! Help me! « Also hat er seine fünf Sinne wieder beisammen, dachte er; sonst wäre da wohl erst mal was Deutsches gekommen. Er stand auf und trat ein.
Pohlmann hatte sich so weit aufgerichtet, wie seine Fesseln es erlaubten. Sie hatten ihm die Hände und die Füße einzeln an die Pfosten gebunden und dabei viel Spielraum gelassen.
»Durst!« sagte er auf englisch.
Wortlos öffnete Thaden eine Dose Mineralwasser und gab sie Pohlmann, der sofort in gierigen Schlucken zu trinken begann.
Als die Dose geleert war, ließ er sie auf den Fußboden fallen. Sie rollte unter das Bett.
»Was ist los?« fragte er.
»Ich bin ein Pohlmann-Geschädigter«, sagte Thaden auf deutsch.
Es dauerte lange, bis der Gefangene antwortete. »Quatsch!« stieß er schließlich aus, und diesmal hatte er auch deutsch gesprochen.
»Wieso Quatsch? Es gibt sie doch, die Pohlmann-Geschädigten.
Hunderte, wenn nicht Tausende. Und einundzwanzig dazu.
Und dann noch die Angehörigen der einundzwanzig.«
Erneut ein langes Schweigen. Dann: »Ich verstehe kein Wort.«
»Zumindest meine Sprache verstehen Sie.«
»Warum auch nicht? Ich habe als junger Mann sieben Jahre in Frankfurt gelebt und später noch einmal zweieinhalb Jahre in Hamburg.« Er ließ sich zurückfallen.
»Haben Sie Hunger?«
»Durst.«
Thaden gab ihm eine zweite Dose. Pohlmann kam wieder hoch und trank sie aus. Diesmal hielt er Thaden die leere Dose hin, und der stellte sie auf dem Fußboden ab. Dann sagte er:
»Damit wir nicht lange drumherum reden, verrate ich Ihnen lieber gleich: Wir haben ein paar gemeinsame Bekannte. Zum Beispiel Ihre Frau Luise Pohlmann, den Skipper Howard Foreman aus Cancún und Kapitän Nielson, außerdem Luciano Morro und dessen Bruder Gregorio und Señorita Olloquiegui.
Na, und Alicia. Sie sehen, es hat keinen Zweck, mir die James-Hamilton-Geschichte aufzutischen. Ich finde, vor allem der Name Nielson ist interessant. Der Kapitän der CAPRICHO ist sozusagen der Mann aus dem Zwischenreich. Damit meine ich jenen Zeitraum, der von Antwerpen bis Veracruz andauerte und die Brücke von Ihrem ersten zu Ihrem zweiten Leben bildete.«
»Wo sind wir?«
»An einem sicheren Ort in Mexiko.«
»Und was haben Sie mit mir vor?«
»Ich werde Sie vor den Richter bringen.«
»Quatsch!« lautete wieder die Antwort.
Sie hörten Schritte, und gleich darauf wurde die Tür geöffnet.
Nielson trat ein.
»Sie?« sagte Pohlmann. Es kam erstaunt und leise.
»Ja, ich!« Nielson setzte sich auf sein Bett, und dann wandte er sich an Thaden: »Zurr ihn mal etwas fester! Er kriegt eine neue Spritze.« Er machte sich daran, die Injektion vorzubereiten.
Thaden schnürte unterdessen Pohlmanns Hände ganz dicht an die Bettpfosten. Mit den Füßen machte er das gleiche. »Sie verhalten sich besser ruhig«, sagte er, »weil die Nadel sonst leicht ein paarmal danebengeht. Das kann schmerzhaft sein.«
Und Pohlmann verhielt sich ruhig, ließ sich ohne Gegenwehr den Oberarm abbinden und leistete auch keinen Widerstand, als Nielson die Nadel ansetzte, einstach und langsam das Mittel aus der Kanüle drückte. Danach säuberte Thaden die Einstichstelle und lockerte die Fesseln ein wenig.
Sie warteten, bis der Gefangene eingeschlafen war, und gingen vor die Tür, nahmen die Getränke mit. Nielson hatte Eis, Bacardi, Gin und Plastikbecher besorgt, und so kamen sie endlich zu einem kühlen Drink. Nielson mixte sich eine Cuba Libre, Thaden nahm Gin und Mineralwasser.
»Hast du jetzt mit ihm geredet?«
»Ein bißchen.« Thaden gab das Gespräch wieder, und daraufhin meinte Nielson: »Dann weiß er also Bescheid. Hör zu, ich hab’ mir überlegt, wie wir’s machen, und bin auf eine gute Idee gekommen.«
»Du warst lange weg. Hat das mit deinem Plan zu tun?«
»Ja. Das Schöne an Veracruz ist unter anderem, daß das Leben da nicht so ernst genommen wird. Immer findet man Menschen, die einem helfen, auch wenn es mal nicht den geraden Weg geht, und läßt man was springen, tun sie’s besonders gern.
Unser Problem ist gelöst.«
»Du weißt jetzt, wohin mit ihm?«
»Ja. Es ist ein großartiger Platz.«
»Aber du willst ihn doch nicht irgendwelchen Leuten übergeben?«
»Sagen wir mal so: Irgendwelche Leute gestatten mir, ihn an einen Ort zu bringen, der nicht nur der strategisch beste,
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