1991 Atlantik Transfer (SM)
gefunden, sondern sogar überwältigt haben. Auch Ihre Methoden sind das Resultat von Intelligenz, Fleiß und Energie. Für Sie gibt es zwei Möglichkeiten: Sie liefern mich aus und haben nichts davon, oder Sie lassen sich von mir hoch bezahlen und liefern mich nicht aus. Sagen wir …«
»Hören Sie auf!« Man merkte es an Thadens Stimmlage, daß er sich kaum noch beherrschen konnte. »Sicher haben Sie in Ihrem Leben eine Menge gelernt, aber doch nicht genug. Heute können Sie was dazulernen: daß nämlich alle Macht nichts nützt, wenn man die Rechnung ohne den Wirt gemacht hat. Wir wollen kein Geld! Unsere Rechnung läßt sich nicht mit Dollar oder D-Mark bezahlen. So einfach ist das!«
»Okay, dann anders. Haben Sie mal darüber nachgedacht, daß ich wahrscheinlich mit vier oder fünf Jahren davonkomme, von denen mir ein Drittel geschenkt wird, und ich in Kürze also wieder frei bin? So leicht lassen sich die Vorgänge bei der EUROVIT nicht in Knastjahre umrechnen.«
»Sie kriegen lebenslänglich«, sagte Nielson, »denn Geiselnahme mit einundzwanzig Toten im Gefolge läßt sich durchaus umrechnen.«
»Moment!« Pohlmann richtete sich halb auf. »Der Tatort war ein chilenisches Schiff; die deutschen Gerichte sind also nicht zuständig. Und auch die MELLUM war, rechtlich gesehen, wegen ihrer Fremdflagge kein deutsches Schiff, und die meisten Toten waren Filipinos!«
»Ach, zählen die etwa anders?« fragte Nielson.
Pohlmann überging den Einwand. »Sie lassen noch etwas anderes außer acht«, sagte er. »Es ist überhaupt nicht erwiesen, daß die Schiffbrüchigen gerettet worden wären, wenn die CAPRICHO den Unglücksort angesteuert hätte. Es war kalt, und an Unterkühlung stirbt man schneller, als allgemein angenommen wird.«
»Darauf kommt es nicht an«, sagte Thaden und wandte sich an Nielson: »Er ist und bleibt ein Scheusal.«
»Du hast recht.« Nielson stand auf.
»Aber Sie können doch jetzt nicht einfach wieder weggehen!« sagte Pohlmann. »Ich brauch’ Bewegung und muß mich waschen.«
»Später vielleicht«, antwortete Nielson. »Im Moment binde ich Sie nicht los; ich mag Sie nicht anfassen.« Er spreizte die Finger und verzog den Mund. Dann löschte er das Licht und folgte Thaden, der die bodega schon verlassen hatte.
18
Um zwei Uhr nachts lag der Steward Conally noch immer wach in seiner Koje. Er war beunruhigt. Am Vormittag da hatten sie die Zollgrenze schon erreicht, und die Plombe an der Tür des Stores war vom Kapitän entfernt worden – war er ins Warenlager gegangen, zu dem außer Nielson nur er einen Schlüssel besaß. Er hatte Getränke in die Pantry gebracht und war in den Store zurückgekehrt, um zwei Stangen Zigaretten zu holen, die der Koch bei ihm bestellt hatte. Ja, und er hatte noch etwas anderes holen wollen, eine Flasche Fuß-Balsam für den Zweiten Ingenieur, hatte lange danach suchen müssen, denn das Mittel war seit mindestens einem Jahr nicht mehr verlangt worden. Aber es gab den Karton mit den kleinen grünweißen Flaschen, das wußte er genau. Erst hatte er die unteren Regale abgesucht, war dann auf die kleine Trittleiter gestiegen und hatte weiter oben nachgesehen, schließlich auf dem höchsten Bord einige Kartons mit Seife, Waschpulver, Rasiercreme und Zahnpasta hin und her geschoben und dabei das Lüftungsgitter freigelegt. Leise, aber doch deutlich hatte er einen langgezogenen klagenden Ton gehört und sich gewundert, denn kurz vorher hatte er den Käpt’n, zusammen mit dem Passagier, an Deck gesehen. Er war von der Leiter gesprungen und in den Salon gelaufen; von dort mußte das unheimliche Geräusch ja gekommen sein. Doch da war niemand gewesen. Er war in den Store zurückgekehrt, hatte ein zweites Mal an der kleinen Öffnung gelauscht und wieder das Stöhnen gehört, schließlich seinen Putzlappen aus der Gesäßtasche gezogen und einen Zipfel davon durch das Gitter gesteckt. Abermals war er in den Salon gegangen und hatte dann sekundenlang verblüfft unter der Lüftung gestanden. Der Zipfel war dort nicht zu sehen gewesen! Noch einmal in den Store und den Lappen zurück in die Hosentasche! Aber er würde der Sache auf den Grund gehen, später, vielleicht in der Nacht! Den Fuß-Balsam hatte er schließlich in einem Seifenkarton gefunden.
So kroch er nun aus der Koje, zog sich an, nahm den schon bereitgelegten Schraubenzieher und eine kleine Stabtaschenlampe in die Hand, verließ sein Logis und schlich über den Gang. An der Tür des Kapitäns lauschte er mindestens
Weitere Kostenlose Bücher