1991 Atlantik Transfer (SM)
kann ich gut verstehen.«
»Ich hab’ sogar schon daran gedacht, alle Häfen rund um den Nordatlantik abzuklappern und mich da nach den Schiffsabfertigungen des letzten Winters zu erkundigen.«
»Du würdest es allein schon zeitlich nicht schaffen.«
»Oder ich grase die Seemannsheime der ganzen Welt ab in der Hoffnung, in einem von ihnen auf einen sailor zu stoßen, der an Bord dieses Schiffes war, und zwar genau während der in Frage kommenden Reise. Klar, diese Methode hat auch etliche Haken.
Zum Beispiel: Wenn die Besatzung noch vollzählig an Bord ist, hält sich keiner der Männer in einem Seemannsheim auf. Sollte inzwischen aber doch einer von Bord gegangen sein, dann hat er bestimmt nur das Schiff gewechselt oder ist nach Hause gefahren. Drittens: Wenn ich entgegen aller Erwartung meinen Mann tatsächlich finde, dann weiß ich noch lange nicht, ob er bereit ist, mit mir zu reden. Vielleicht gehört er zu einer Crew, die vom Käpt’n bis runter zum Moses Dreck am Stecken hat, und dann wird er wohl kaum den Mund aufmachen.«
»Mit Sicherheit nicht. Also, Jacob, daß deine beiden Methoden entfallen, weißt du ja selbst. Du wärst wie der Regentropfen, der auf die Sahara niedergeht mit dem Ziel, auf ein bestimmtes Sandkorn zu treffen, von dem aber nicht bekannt ist, wo es liegt.
Nein, wir brauchen, um im Bild zu bleiben, keinen Regentropfen, sondern den ganz großen Regen. So, und jetzt weg von den Arabesken und hin zum Klartext! Mein Blatt hat eine Auflage von anderthalb Millionen, was etwa fünf Millionen Leser bedeutet. Ich schreibe einen spannenden Bericht über den Untergang der MELLUM, und zwar in mehreren Folgen. Kern meiner Geschichte wird die unterlassene Hilfeleistung sein, und wer weiß, vielleicht läßt der Text sich dann auch noch an eine Zeitung in den USA verkaufen. Damit, mein Lieber, regnet es sozusagen flächendeckend, und wir haben eine realistische Chance, Leute zu erreichen, die was wissen.«
»Und du meinst, dein Chef wird bei so einer Sache mitziehen?«
»Wird er. Unterlassene Hilfeleistung ist immer ein Thema.«
»Dann schreib die Geschichte! Du könntest sogar einen Köder auslegen. Für brauchbare Zeugenaussagen setze ich, aber ohne daß mein Name erwähnt wird, eine Belohnung von fünfzigtausend Mark aus.«
»Phantastisch! Das erhöht die Gesprächsbereitschaft. Wir fangen morgen an. Vielleicht haben wir Glück, und es handelt sich um eine Crew, in der es Neid und Rivalität und Rachegelüste gibt und darum auch mindestens einen, der bereit ist auszupacken. Dann kommt es nur noch darauf an, daß dieser eine unsere Story zu Gesicht kriegt. Also, morgen abend! Wenn möglich, bei mir, denn ich hab’ vorgestern beim Schweine-Bingo einen riesigen Karbonadenstrang gewonnen, und der nimmt mir im Kühlschrank den Platz fürs Bier weg.«
Jacob Thaden mußte lachen.
»Also gut. Bei dir.«
13
Für Ernst Pohlmann alias Eberhard Leuffen alias James Hamilton war Mexiko das Gelobte Land, so, wie er für einen, wenn auch nur winzigen, Teil dieses Landes der rechte Mann war, denn durch ihn wurde die seit Jahrzehnten daniederliegende, dreihundert Hektar große Hacienda La Madrugada in der Provinz Tlaxcala zu neuem Leben erweckt. Noch von Deutschland aus hatte er vor Jahresfrist den verwahrlosten Landsitz mit Hilfe eines in Mexico City ansässigen Geschäftspartners erworben und es mithin erreicht, eines der am stärksten kontrollierten mexikanischen Gesetze zu umgehen, nämlich die Bestimmung, daß Ausländer dort keinen Grundbesitz haben dürfen. Zwar hätte er die Madrugada auch unter Einbeziehung eines einheimischen Strohmannes kaufen können, doch hatte er eine damit vorprogrammierte Abhängigkeit für zu gefährlich gehalten. Lieber hatte er sich für viel Geld einen Paß auf den Namen James Hamilton und dazu die mexikanische Staatsbürgerschaft besorgt, die in der Regel frühestens nach fünfjähriger Residenz erteilt wurde.
Die gleich nach der grundbuchlichen Übertragung von einem ganzen Heer mexikanischer Bauarbeiter in Angriff genommene Restaurierung der während der Revolutionszeit zerschossenen Gebäude war bei seiner Ankunft so weit fortgeschritten gewesen, daß er den aus neun Zimmern bestehenden Westflügel des Herrenhauses sofort hatte beziehen können. Und da auch jetzt noch viele Hände am Werk waren, stand zu erwarten, daß das im Jahre 1905 von einem englischen Adligen zwischen den Ortschaften Huamantla und Cuapiaxtla geschaffene Anwesen schon bald in seiner alten Pracht
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