1991 Atlantik Transfer (SM)
er der Freund von Raimund Köppler, dem Sohn eines Möbelfabrikanten, der ein großes Haus führte und in dessen Familie der ebenso intelligente wie fleißige und schon damals unter dem niedrigen Lebensstandard seiner Eltern leidende Ernst Pohlmann hineingeriet wie ein Ackergaul in einen Stall voller Rennpferde. Daß es ausschließlich der Besitz war, den die Köpplers seiner Familie voraus hatten, begriff der Junge nicht gleich, reifte dann aber doch zu dieser Einsicht heran, und das machte alles noch schmerzlicher. Zunächst jedoch sah er nur, daß es in Raimunds Elternhaus anders zuging als bei ihm. Da war auf seiner Seite die ärmliche Wohnung mit drei Zimmern, Küche und Bad sowie Gemeinschaftskeller und Gemeinschaftsdachboden für acht Mietparteien und auf der anderen die pompöse Vierzehn-Zimmer-Villa, ockerfarben verputzt, mit zwei Balkons und einer Sonnenterrasse, einer Garage für drei Autos und einem Garten, der fast die Größe eines Fußballplatzes hatte und eindrucksvoll hinabreichte bis an die Aller, was so Beglückendes wie die Möglichkeit des Angelns, Bootfahrens und Schwimmens in privater Atmosphäre mit einschloß. Dann waren da die plumpen Keramikteller und
-tassen seiner Mutter und das zarte, kunstvoll bemalte Porzellan der Frau Köppler.
Und die Kleidung natürlich: die von der Stange gekauften Jacken und Hosen seines Vaters aus billigem Stoff und die maßgeschneiderten Anzüge von Herrn Köppler, ganz zu schweigen von der Fülle und Vielfalt, die Raimunds Muter in ihren Kleiderschränken verwahrte und die der Freund ihm einmal, begleitet zwar von abfälligen Bemerkungen über spleenige Frauen, aber doch auch mit einem gewissen Stolz gezeigt hatte. Und dann gab es die weniger augenfälligen Unterschiede, etwa in der Beschaffenheit der Hände, in den Frisuren, in der Art, wie mit Messer und Gabel umgegangen wurde oder wie die Väter, wenn sie von ihrem Arbeitstag nach Hause kamen, ihre Frauen begrüßten. Herr Köppler küßte die seine auf die Wange, der eigene Vater dagegen rief nur, sobald er die Wohnung betreten hatte: »Hunger!« oder kniff, wenn er gut gelaunt war, seiner Margarete in den fülligen Hintern. Schließlich war da der riesige Bereich der Gespräche, der zuhauf Indizien lieferte für die Verschiedenheit der Lebensformen. Die bei Köpplers geführte Unterhaltung bei Tisch drehte sich immerhin um Politik und Mode und Fragen der Erziehung, während es bei ihm zu Hause um den Inhalt der Lohntüte ging, um den hundsgemeinen Chef, um die Preise für Lebensmittel, um den Schrebergarten und die Mitbewohner des alten Mietshauses.
Der junge Ernst Pohlmann sah die Güter der Welt ungerecht verteilt, und schon früh, mit fünfzehn Jahren, prägte er für sich den Begriff vom kleinen und vom großen Leben und war entschlossen, alles daranzusetzen, daß er aus dem engen Rahmen seiner Herkunft herausfände.
Ein besonderes Ereignis gab seinem bis dahin nur diffusen Drang nach Steigerung der Lebensqualität einen mächtigen Antrieb. Danach war es vor allem Zorn, der sich in die Bemühung um ein besseres Dasein mischte und ihm die Kraft zu einem neuen Anfang und später zum Durchhalten verlieh.
In dem prunkvollen Haus an der Aller gab es auch noch Beate, Raimunds um zwei Jahre jüngere Schwester. Sie war ein lebhaftes und listenreiches Mädchen, hatte es einmal sogar geschafft, mit Hilfe eines gefälschten Schulzeugnisses den Eltern monatelang zu verheimlichen, daß sie sitzengeblieben war. Natürlich hatte er ihre Entwicklung vom Kind zum Teenager aufmerksam verfolgt, aber sein sozialer Instinkt hatte ihn davor gewarnt, sich ihr zu nähern. Und trotzdem wurde sie für ihn zum Verhängnis oder – auf später bezogen – zum Signal. Es hatte sich ergeben, daß er hin und wieder in der Villa übernachtete. Er bekam dann ein unter dem Dach gelegenes Giebelzimmer. Solche Nächte vor allem waren es, die dem Sechzehnjährigen, der damals kurz vor seinem Schulabschluß stand, die Nähe zum großen Leben vorgaukelten. Er genoß die Daunendecke, den dicken Teppich, die hellen Schleiflackwände, das eigene Badezimmer und nicht zuletzt den Blick aus dem offenen Fenster über den Garten hinweg bis zum Fluß.
An einem Augusttag, bald nach den großen Ferien, war es dann mal wieder soweit. Die Freunde waren gemeinsam von der Schule zur fünfzehn Gehminuten entfernten Villa aufgebrochen und hatten sich nach dem Essen zum Angeln ans Ufer gesetzt. Einmal war Beate erschienen, hatte einen dämlichen Spruch
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