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1991 Atlantik Transfer (SM)

1991 Atlantik Transfer (SM)

Titel: 1991 Atlantik Transfer (SM) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hinrich Matthiesen
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über Tierquälerei abgelassen, wobei unklar blieb, ob sie die Würmer meinte, die über den Haken gezogen wurden, oder die Fische, und war wieder gegangen, nicht ohne vorher die Angler durch einen raschen Steinwurf ins Wasser geärgert zu haben. »Blöde Ziege!« rief Raimund ihr nach, und als sie gegangen war, sagte er: »Schwestern sind eine Plage! Sei froh, daß du keine hast.«
    Ernst Pohlmann, bei aller inneren Auflehnung gegen die ungerechte Verteilung der Güter schüchtern veranlagt und stets eher auf Beschwichtigung aus als auf Konfrontation, antwortete: »Sie meint es nicht so. Hättest ihr auch ’ne Angel geben sollen; dann hätte sie mitgemacht.«
    »Soweit kommt es noch, daß wir uns mit der abgeben!« Drei Fische hatten sie schließlich in ihrem Eimer, alles Rotaugen, aber keiner war groß genug, daß er für die Pfanne taugte, und so bekam sie der Kater Caesar.
    An diesem Abend saß Ernst Pohlmann wieder am Giebelfenster und war glücklich, für ein paar Stunden das Wohlleben der reichen Leute genießen zu können, und zugleich traurig, weil es nicht sein eigenes Leben war. Erst gegen Mitternacht legte er sich ins Bett und löschte das Licht.
    Er hatte noch nicht geschlafen, als leise die Tür aufging, sich wieder schloß und einen Atemzug später Beate in seinem Bett lag. Sie hatte überhaupt nichts an. Es war grotesk: Wie ein verängstigtes Tier drängte sich der um zwei Jahre Ältere gegen die Wand, um nur ja nicht in Berührung zu kommen mit der nackten Haut des Mädchens.
    »Das dürfen wir nicht!« versuchte er sie abzuwehren, aber statt zu antworten, verschloß sie ihm einfach den Mund mit ihren wilden, ungezügelten Lippen. Und dann drückte sie ihm etwas in die Hand, einen kleinen Gegenstand aus Metall.
    »Was ist das?« flüsterte er.
»Ein Talisman. Den hab’ ich bei meinem Vater im Schreibtisch gefunden. Ich hatte Lust, ihn dir mal zu zeigen.«
    Er befühlte das offenbar an einer Kette befestigte, bizarr geformte Stück, wollte gerade die Nachttischlampe einschalten, um es betrachten zu können, als die Zimmertür sich abermals öffnete und gleich darauf das Deckenlicht anging. Und da stand er, der Fabrikant Köppler, in einem weinroten Schlafanzug, mit einem fast genauso roten Gesicht und mit Augen voller Zorn.
    Er trat ans Bett, packte seine Tochter am Handgelenk, zog sie in die Mitte des Zimmers, ließ sie los und versetzte ihr ein paar Ohrfeigen von solcher Wucht, daß sie gegen die Wand fiel und dort zu Boden ging.
    Ernst Pohlmann lag starr unter seiner Decke. Er hätte es durchaus als angemessen empfunden, wenn eine physische Attacke gleicher Vehemenz auch auf ihn niedergeprasselt wäre, aber davor schreckte der aufgebrachte Herr Köppler dann doch zurück. Statt dessen kamen Worte, und eins davon sollte dem Jungen nie wieder aus dem Kopf gehen:
    »Es ist ungeheuerlich! Ein Prolet im Bett mit meiner Tochter, die noch ein Kind ist! Und das unter meinem Dach! Steh auf, zieh dich an und laß dich hier nicht wieder blicken!«
    Das Herauskommen aus dem Bett, das Anziehen mit der zur Faust geschlossenen Rechten, die noch immer den Talisman umschlossen hielt, das Aufnehmen der Schultasche, die Schritte über die Treppe und das Verlassen des Hauses unter den Augen des Mannes, der ihn noch bei Tisch als jemanden bezeichnet hatte, von dem sein Sohn eine Menge lernen könne, waren so demütigend, daß er das Gefühl hatte, gleich fahre die Kraft aus seinen Beinen und er falle um. Noch hundert Schritte vom Haus entfernt wankte er. Er brauchte eine Pause, setzte sich auf die Bordsteinkante. Im Licht der Straßenlampe besah er sich, was Beate ihm in die Hand gedrückt hatte. Es war ein mit ausgebreiteten Flügeln versehener, gereckter Penis in Silber.
    Obwohl er allein war, schoß ihm die Röte ins Gesicht. Er steckte den Talisman ein. Noch immer spürte er die Kraftlosigkeit in seinen Beinen. Erst nach etwa zehn Minuten stand er wieder auf. Aber er wollte nicht nach Hause, wollte um keinen Preis seinen Eltern von dieser Schmach erzählen, schlich sich daher in den nahe gelegenen Park und übernachtete auf einer Bank. Von dort aus ging er am Morgen in die Schule.
    Raimund und er mieden einander fortan. Zum Glück saßen sie in der Klasse nicht nebeneinander, und das Ende der gemeinsamen Schulzeit war ohnehin nahe.
    Das Erlebnis dieser Nacht wurde zum Meilenstein in Ernst Pohlmanns Leben. Denen werd’ ich’s zeigen! sagte er sich, und aus Selbstmitleid und sozialer Anklage wurde ein erster

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