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1991 Atlantik Transfer (SM)

1991 Atlantik Transfer (SM)

Titel: 1991 Atlantik Transfer (SM) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hinrich Matthiesen
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bevölkert. Aber er nahm sie kaum wahr. Er bestellte Kaffee und holte die Notizen hervor, die er sich während des Gesprächs in Bremerhaven gemacht hatte, las alles noch einmal nach. Die Reederei hatte sich zu dieser internen Sitzung entschlossen, weil sie sich im Gespräch mit den Überlebenden und mit ihren eigenen Sachverständigen vor der offiziellen Seeamtsverhandlung, die erfahrungsgemäß noch mindestens ein Jahr auf sich warten lassen würde, einen Überblick verschaffen wollte.
    Neue Aspekte waren im Verlauf der Konferenz nicht zutage getreten. Wolbrügges Aussage und die eines Filipinos waren verlesen worden, aber Consalvez, der Mann mit der Torpedo-Theorie, hatte kommen können, da sein Schiff in Rotterdam lag.
    Seit dem Unglück waren nun fast vier Monate vergangen, und so gab es an der abschließenden Erklärung des Reeders, daß nur vier der fünfundzwanzig an Bord befindlichen Personen gerettet worden seien, keinen Zweifel mehr.
    Zur Frage der Entschädigung für die Passagiere führte der Rechtsanwalt der Reederei aus, er wolle dem Spruch des Seeamts keinesfalls vorgreifen, vertrete jedoch die Auffassung, daß die Schiffsleitung kein Verschulden treffe und die Reederei daher auch nicht haftbar zu machen sei, so daß Zahlungen, die sich bei nachgewiesener grober Fahrlässigkeit bis auf dreihundertzwanzigtausend Mark belaufen könnten, entfielen. Jacob Thaden als der einzige in diesem Punkt Betroffene – für die Hinterbliebenen der Besatzungsmitglieder war die Seeberufsgenossenschaft zuständig – hatte erklärt, er vermute, daß auch der Richterspruch die Reederei von jeglicher Schuld freihalten werde, es sei denn, in der Ausstattung des Schiffes mit Rettungsmitteln würden Mängel bekannt. Daraufhin rechnete ihm einer der Reederei-Inspektoren vor, die MELLUM habe vorschriftsgemäß neben dem Fassungsvermögen der Boote beidseitig über eine Kapazität von fünfundzwanzig Plätzen verfügt, und zwar in Form einer Rettungsinsel für fünfzehn und einer weiteren für zehn Personen. Zusätzlich habe auf dem Hauptdeck, und zwar Hinterkante Back, noch die sechs Personen fassende Insel gelegen, mit deren Hilfe glücklicherweise er, Thaden, sich habe retten können. Und auf Jacob Thadens Frage, ob nicht doch das eine, das unbeschädigte Boot einsatzfähig hätte sein müssen, antwortete derselbe Mann, er habe noch einmal den jüngsten Prüfbericht, den vom November vergangenen Jahres, gelesen, und der belege zweifelsfrei, daß beide Boote den vorgeschriebenen Normen entsprochen hätten und daß sie, wie gefordert, auch noch bei einer Schlagseite von fünfzehn Grad hätten weggefiert werden können; demnach habe die Krängung der MELLUM mehr als fünfzehn Grad betragen, jedenfalls die des Achterschiffs. Der Matrose Consalvez hatte diesen Sachverhalt dann bestätigt.
    Daß, wie aus einem der Reederei zugegangenen kanadischen Bericht verlautete, noch zweiunddreißig Tage nach dem Untergang ein Rettungsring mit der Aufschrift MELLUM von Fischern vor Neuschottland gefunden worden war, hatte auch keine neuen Erkenntnisse geliefert außer der belanglosen, daß der Wind nach der Havarie für eine längere Zeit aus Südosten geweht haben mußte. Aber in Jacob Thadens Phantasie hatte diese Mitteilung ein Bild erzeugt, das ihm zusetzte und von dem er wußte, daß es ihn noch oft quälen würde: Sigrid und Arndt, an diesen Ring geklammert und verzweifelt gegen die meterhohen Wellen ankämpfend; irgendwann bei Arndt das Nachlassen der Kräfte und also bei Sigrid die doppelte Anstrengung, um den Jungen und sich im Ring zu halten; und dann doch das Schwinden auch ihrer Kraft, das Ende.
    Auch jetzt, an seinem Terrassentisch und mit dem Blick auf die vielen Schiffe in der Elbmündung, konnte er sich nicht wehren gegen dieses Bild. Es hatte sich bei ihm eingenistet, und ganz automatisch fügte sich noch hinzu, was der Bootsmann Wolbrügge erzählt hatte: daß die Kälte so gewirkt habe, als schnitte sie ihm Arme und Beine ab.
    Er blieb lange sitzen. Das Lokal leerte sich zunächst, aber gegen Abend, zur Essenszeit, erfolgte ein neuer Ansturm von Gästen.
    Er bestellte sich eine Finkenwerder Ewerscholle und einen Schoppen Wein und sah weiterhin den Schiffen zu. Die meisten lagen noch draußen vor der Schleuse und warteten auf den Einlaß; ein Bulkcarrier war dabei, der etwa das Aussehen und die Größe der MELLUM hatte. Es war – er erkannte es an der Flagge – ein Schwede. Er malte sich aus, wie die Männer dort in der

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