1991 Atlantik Transfer (SM)
mutmaßlicher Drogenschmuggler, wie der Posten an der Gangway ihnen erklärt hatte, abgeführt worden! Sie konnten ihn nicht mehr in die Zange nehmen, und so saßen sie am nächsten Morgen enttäuscht und deprimiert in ihrem Hotel beim Frühstück. Auch waren sie lange unschlüssig in der Frage, was als nächstes, ja, ob überhaupt noch etwas in ihrer Sache zu tun sei. Schließlich sahen sie eine kleine Chance in dem Versuch, wieder einmal eine Telefonaktion zu starten.
Wulf Maibohm war es, der meinte, zumindest könnten sie durch Gespräche mit den örtlichen Polizeibehörden und mit der chilenischen Botschaft in Washington in Erfahrung bringen, ob Nielson wohl demnächst wieder auf freien Fuß komme oder ob für ihn mit einer längeren Haft zu rechnen sei. Diese Anfragen wollte er selbst übernehmen. Jacob Thaden, so beschlossen sie, würde derweil noch einmal zum Kai fahren und erkunden, ob die Bewachung der CAPRICHO inzwischen etwas gelockert worden war und er vielleicht sogar Gelegenheit bekäme, an Bord zu gehen. Wenn er dort auch nur einen einzigen Mann der Besatzung anträfe, müßte er alles daransetzen, ihn über die Februarreise seines Schiffes von Belfast nach Philadelphia auszuhorchen. Und vielleicht stieße er ja sogar auf Ellerup, der für sie – nach dem Kapitän – der zweitwichtigste Mann war.
Um halb zehn trennten sie sich. Maibohm nistete sich mit einer weiteren Kanne Kaffee im Hotelzimmer ein. Thaden stieg in eins der vor dem Portal aufgereihten Taxis.
Der Fahrer war ein Schwarzer. Er hielt, weil es zu einem ganz bestimmten Hafenbecken ging, seinen Kunden für einen Seemann und fragte sogleich nach dem Woher und Wohin. Als er dann erfahren hatte, daß er nur einen deutschen Touristen beförderte, der hoffte, auf dem Schiff, zu dem er wollte, einen Bekannten zu treffen, erlosch das Interesse. Vielleicht, dachte Thaden, ist er früher zur See gefahren und trauert, weil es jetzt nur noch ein Auto ist, den alten Zeiten nach.
Es war für den Chauffeur nicht einfach, sich in dem unübersichtlichen Hafengelände mit den vielen Lagerhäusern, Getreidesilos, Gantry-Kränen und Containern zurechtzufinden. Viermal mußte er nach dem Weg fragen. Endlich glaubte Thaden, den Kai, auf dem er am Vortag gestanden hatte, wiederzuerkennen, aber dann war es doch nicht die CAPRICHO, die, nachdem sie eine riesige Lagerhalle umfahren hatten, sichtbar wurde, sondern ein israelischer Frachter, doppelt so groß wie der chilenische und in wesentlich besserem Zustand.
»Verdammt, es muß woanders gewesen sein«, sagte er. »Aber es ist der Kai, den Sie mir genannt haben; die Nummer des Lagerschuppens stimmt auch.«
»Warten Sie bitte einen Moment!«
Thaden stieg aus, ging auf einen vor der Halle stehenden uniformierten Polizisten zu und fragte ihn nach der CAPRICHO.
Der Mann antwortete zunächst nicht. Statt dessen packte er ihn am Handgelenk und zog ihn einige Meter hinter sich her, so weit, bis sie freie Sicht aufs offene Wasser hatten. Dann erst sagte er: »Da! Ihre CAPRICHO liegt auf Reede! Oder glauben Sie, diese verfluchten Kokain-Kapitäne dürfen tagelang unsere Liegeplätze mit ihren Gangsterschiffen blockieren?«
»Was meinen Sie, ob es möglich ist, mit einem gemieteten Boot rüberzufahren?«
»Was wollen Sie denn da?«
Wieder brachte Thaden seine Touristen-Version.
Der Polizist schüttelte energisch den Kopf. »Ausgeschlossen! Da kommt niemand an Bord.«
»Na gut. Trotzdem vielen Dank!« Er kehrte zu seinem Taxi zurück und stieg ein.
»Ich dachte schon«, sagte der Fahrer, »der Mann würde Sie verhaften.«
»Er wollte mir nur zeigen, wo das Schiff liegt; es muß draußen warten, bis es abgefertigt werden kann«, sagte Thaden und ließ sich in die Stadt zurückfahren.
Die Hitze hatte ihn durstig gemacht, und so ging er in ein Lokal, ließ sich eine Cola mit Eis bringen. Laut brandete der Verkehrslärm der Canal Street gegen die Fensterscheibe, an der er saß, und an seinem Nachbartisch wurde eine erregte Unterhaltung geführt. Zu allem Überfluß brüllte auch noch die Musikbox, die neben dem Tresen stand, und trotzdem gelang es ihm, sich ganz nach innen zu wenden. Er dachte an Sigrid und Arndt, und dann war, wie so oft, das grauenvolle Geschehen jener Nacht im Atlantik wieder da, nicht sein eigenes verzweifeltes Ausharren auf dem Vorschiff, nein, es war der andere, der zweite Schauplatz der Tragödie, den er vor sich hatte. Die Männer der MELLUM in ihrer Funkstation! Alle Hoffnung auf
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