1991 Atlantik Transfer (SM)
Touristik-Office, das von einem Mexikaner mit dem Namen Gregorio Morro geleitet wurde und tatsächlich Gruppenflüge in die USA und nach Europa organisierte. Morros Sekretärin war deutschstämmig und trug den, wie Luise Pohlmann fand, grotesken Namen Miranda Schulze Olloquiegui.
Bisher hatte sie sich noch kein einziges Mal mit dem Büro in Verbindung gesetzt. Ihr war eingeschärft worden, jede Kommunikation, sollte sie denn unumgänglich sein, nur verdeckt herzustellen, einen Brief weder mit ihrem Namen zu versehen, noch ihn an ihrem Wohnort abzusenden, die Aufgabe eines Telegramms ebenso zu handhaben und ein Telefongespräch grundsätzlich nicht von zu Hause aus zu führen. An diese Vorsichtsmaßnahmen würde sie sich, das hatte sie versprochen, strikt halten. Die wiederholten Befragungen und die Hausdurchsuchung waren kein Grund gewesen, das Office einzuschalten, denn mit solchen Maßnahmen hatte ihr Mann ohnehin gerechnet. Was er hingegen für mitteilenswert hielt, waren eventuelle Nachforschungen von anderer Seite, und das nicht, weil sie sich als effizienter, sondern weil sie sich als bedrohlicher erweisen könnten als alle von der Polizei angestrengten Ermittlungen. »Wenn die Jungs von INTERPOL«, so hatte er zu ihr gesagt, »mir auf den Fersen sind, ist das schlimm genug, aber sollten sie mich erwischen, geht alles seinen zivilisierten Gang.
Man liefert mich aus und macht mir hier in Deutschland den Prozeß, und dann hat die Gegenseite ja immer noch mit der Raffinesse meiner Anwälte fertig zu werden. Wenn sich dagegen eine Meute zähneknirschender Kleinaktionäre zusammenrottet, um mich in die Finger zu kriegen, fehlt denen zwar der riesige Polizeiapparat, aber dafür werden sie die Staatsdiener an Entschlossenheit übertreffen, und sollten sie mich wirklich aufspüren, geht es bestimmt um mehr als nur ein paar Jahre Gefängnis; dann geht es mir ans Leder, dann wird es Lynchjustiz. Darin sind zornige kleine Leute ganz groß, kennst doch deren Rübe-ab-Mentalität, die bei manchen schon durchkommt, wenn man ihnen nur ein paar Groschen weggenommen hat.«
Da nun aber von den Geschädigten bislang niemand auf den Plan getreten war, hatte sie keine Veranlassung gesehen, bei MUNDIAL anzurufen. Ja, selbst die Tatsache, daß die Häuser in Frankfurt und Todtmoos und auf Amrum inzwischen beschlagnahmt worden waren, mußte nicht mitgeteilt werden, denn auch damit war zu rechnen gewesen. Das Haus am Tegernsee hatte er ihr bereits vor sieben Jahren überschrieben, und damit war es unantastbar. Ihr noch kurz vor der Flucht auch die anderen Immobilien zu übertragen wäre nicht nur sinnlos, sondern darüber hinaus für die Zurückbleibende auch schädlich gewesen. Zum einen hätte der Konkursbetrug den ganzen Vorgang hinfällig gemacht, weil er vor weniger als zwei Jahren erfolgt wäre, zum anderen hätte ein solches Vorgehen auf ihre Mitwisserschaft schließen lassen, und das wiederum hätte ihre Rolle als Kontaktperson erschwert.
So lebte sie denn, als der Sommer sich neigte und die Abstände zwischen den Befragungen immer größer und die Befragungen selbst mehr und mehr zu Formalien wurden, in der beruhigenden Gewißheit, daß ihr Mann auf dem anderen Kontinent Fuß gefaßt hatte, die Empörung über den EUROVIT-Skandal sich allmählich zu legen begann und sie selbst sorgenfrei und unabhängig das Abenteuer ihrer zweiten Lebenshälfte anpacken konnte.
Mit ihren zweiundvierzig Jahren sah sie dank intensiver Kosmetik noch immer jung aus. Für eine Frau, so hatte sie sich, sobald sie erwachsen war, gesagt, ist alles – jeder Erfolg, jede Niederlage, jede Erwartung, jeder Verzicht – eine Frage des Erscheinungsbildes, weil auf der Gegenseite, nämlich bei den Männern, die erste und entscheidende Wahrnehmung über das Auge erfolgt. Ist das Ergebnis dieser Wahrnehmung negativ, kommt es meistens gar nicht zum Ausspielen all der anderen schönen Trümpfe. Man bleibt auf ihnen sitzen, den Kochkünsten, der inneren Harmonie, dem aufrichtigen Wesen, der Liebe zu Tieren und Blumen, dem Hang zur Musik und zum Wandern und derlei Qualitäten mehr, wie man sie in den einschlägigen wohlformulierten Notrufen findet. Sie lebte also nach der Devise Schönsein ist die erste Frauenpflicht und freute sich darüber, daß die Natur sie mit einer passablen Grundausstattung versehen hatte.
Sie war mittelgroß und schlank, aber nicht von der kantigen Schlankheit der Mannequins, sondern durchaus versehen mit weiblich-weichen Konturen.
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