1991 Atlantik Transfer (SM)
rannte ein letztes Mal ins Schlafzimmer, schaffte es, unter dem Bett, das am Fußende bereits brannte, ihre Pantoletten hervorzuziehen und hineinzuschlüpfen. In ihr Bad konnte sie nicht, weil das Feuer ihr den Zugang versperrte, aber da war ja auf dieser Etage noch das kleine Gästebad. Sie lief hin, riß die Tür auf. Auch hier dichter Rauch.
Im Dunkeln fingerte sie das Handtuch von der Stange, drehte die Dusche auf und hielt es unter den Strahl, stellte sich schließlich auch selbst darunter. Und dann lief sie, das nasse Tuch über dem Kopf, wieder zur Treppe, machte an der obersten Stufe gar nicht erst halt, sondern rannte hinunter, schrie, als die Flammen sie packten, schrie laut und schrill, lief aber weiter, durchquerte die lichterloh brennende Diele, erreichte die Terrassentür, wollte sie öffnen, zuckte zurück, weil sie sich an dem glühendheißen Metallgriff verbrannt hatte, versuchte es ein zweites Mal mit Hilfe des nassen Handtuchs, schaffte es, die Tür zu öffnen, rannte hinaus, rannte die Böschung ihres Gartens hinab, zehn Meter, zwanzig Meter, warf sich ins Gras und sog gierig die klare Luft ein.
Sie mochte fünf, sechs Sekunden gelegen haben, da spürte sie die Brandwunden. Als hätten die Schmerzen nur den Moment der Befreiung abgewartet, setzten sie jetzt ein, an den Beinen, an den Armen, im Gesicht. Aber noch viel schlimmer war ihre heillose Angst, die verbrannten Hautpartien könnten zu untilgbaren Narben werden.
Sie hörte die Autos der Feuerwehr herannahen, hörte laute Männerstimmen, und dann hatten die Retter das weiße Bündel auf dem Rasen entdeckt. Sie kamen zu ihr.
Zwei Stunden später hatte man sie in der Klinik versorgt. Sie war am ganzen Körper bandagiert. Nur die Augen hatte man frei gelassen. Sie verspürte, weil sie Morphium bekommen hatte, keine Schmerzen, nahm den an ihrem Bett stehenden Mann nur verschwommen wahr, wie durch einen Schleier, glaubte aber, daß es ein Arzt war, denn er fühlte ihren Puls, und hinter ihm standen andere Personen.
»Na, das ist ja noch mal glimpflich abgegangen!« Die Stimme klang beruhigend, aber was wußte der Mann schon von ihren Ängsten!
»Und mein Teint?«
»Kein Problem, Frau Pohlmann! Wir holen uns ein Stückchen vom Po oder vom Bauch, und – das verspreche ich Ihnen – ein paar Wochen später können Sie wieder ganz unbeschwert in den Spiegel lächeln.«
Da weinte sie.
4
Noch war in der Baumschule der große Ansturm der herbstlichen Pflanzzeit nicht da, und trotzdem packte Jacob Thaden an diesem Septembertag mit an, half bei den Arbeiten, die vor allem Kraft erforderten, beim Kompostieren und beim Transport der schweren Säcke mit Düngemitteln, Bittersalz und Torf.
Um siebzehn Uhr machte er, wie alle anderen, Feierabend. Er ging ins Haus, duschte und wechselte die Kleidung. Er fühlte sich gut. Er hatte es einfach mal wieder gebraucht, dieses stundenlange Sichabrackern. Zwar taten ihm nun die Knochen weh, aber das störte ihn nicht, denn er wußte, solche Schmerzen waren heilsam fürs Gemüt.
Am Abend fuhr er nach Hamburg, jedoch nicht in die City, sondern außen herum nach Blankenese und dort zur höchsten Erhebung der Hansestadt, dem Süllberg. Er parkte, stieg die Treppe empor zu dem berühmten Restaurant gleichen Namens, trat ein, suchte sich einen Fensterplatz und hatte damit den Ausblick, um den es ihm, als er sich zu der abendlichen Fahrt entschlossen hatte, gegangen war. Unterhalb des in etwa achtzig Metern Höhe errichteten Restaurants sah er die Lichter des alten Fischerdorfes und auch die Elbe mit den vorbeiziehenden beleuchteten Schiffen. Im Verlauf des zurückliegenden halben Jahres hatte sich bei ihm eine leidenschaftliche Affinität zu allem, was die Seefahrt betraf, herangebildet, fast so, als sei da ein geheimnisvoller Zwang entstanden, auch räumlich die Nähe zum schmerzlichsten Ereignis seines Lebens zu bewahren.
Dieses beharrliche Aufsuchen maritimer Plätze hatte mit seiner Liebe zu tun und mit seiner Sehnsucht. Auf einem Schiff, so dachte er oft, war sein eigentliches Leben stehengeblieben. Da hatte jemand plötzlich die Uhr angehalten, und alle Zeit, die danach kam, war anders zu zählen. Distanziert, nüchtern, ohne wirkliche Teilnahme, weil sie nicht mehr ausgerichtet sein konnte auf den beglückenden Zustand, eine Frau und einen Sohn zu haben und mit ihnen so eng und so innig verbunden zu sein, als wäre jeder für sich gar nichts, alle drei zusammen aber etwas ganz Großes. So spürte er tief
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