1991 Atlantik Transfer (SM)
zu tun? Hatte er noch genug Luft für den Rückweg? Er bezweifelte es, fühlte schon Stiche in der Brust, bestimmt wegen des Sauerstoffmangels, und sie verstärkten sich durch die schlagartig einsetzende Panik.
Noch einmal hinauf! Prüfen, ob das Holz direkt auf der Wasseroberfläche lag oder ob es da noch eine kleine Zwischenzone gab, und sei sie nicht mehr als eine Handbreit hoch! Es käme ja nur darauf an, die Nase in die schmale Luftschicht zu halten. Er erkannte sofort: Da war kein Platz! Das Holz begann, wo das Wasser aufhörte. Mit verzweifelter Anstrengung versuchte er, die Abdeckung hochzudrücken. Es ging nicht. Ihm fehlte der feste Untergrund. In dem unter seinen Füßen nachgebenden Wasser konnte er nur einen minimalen nach oben gerichteten Schwung erzeugen, und der reichte nicht aus, um die Holzdecke auch nur einen einzigen Zentimeter anzuheben.
Also zurück! Er hielt ihn fast nicht mehr aus, diesen immensen Druck, den das Ausbleiben der Luftzufuhr erzeugte. Seine Brust schien zu bersten, ebenso sein Kopf. Er wußte jetzt, es ging um sein Leben. Mit Arm- und Beinstößen, die gewaltig hätten sein müssen, wegen der nachlassenden Kräfte aber nur schwach ausfielen, steuerte er die Schleuse an. Vor sich sah er den Lichtschimmer, der aus der Halle kam und in den ersten Metern des Außenbeckens versickerte. Er war der Ohnmacht nahe, schaffte es dann aber doch, seine allerletzten Reserven zu mobilisieren, erreichte die Zone des Lichtes. Noch ein Schwimmzug, noch einer. Eigentlich waren es gar keine Züge mehr, eher unkontrollierte Zuckungen; sonst hätten sie ihn schneller voranbringen müssen. Aber voran ging es schließlich doch, und endlich, endlich war er in der Nähe des Deckelrandes, drehte sich um, und so, aus der Rückenlage, griff er mit beiden Händen nach der über ihm befindlichen hölzernen Kante, gab sich noch einen letzten Schub, kam vollends unter dem Deckel hervor, tauchte auf, stellte sich hin, kippte aber sofort wieder um. Doch da in der Schleuse das Wasser nur flach war und seine Hände an den Seitenwänden Halt fanden, fing er den Sturz ab. Halb stand er, halb hing er, aber er atmete, atmete, atmete.
Es waren etliche Minuten, die er in dem Durchlaß zubrachte.
Ganz allmählich kehrten seine Kräfte zurück, und der Atem wurde ruhiger. Schließlich passierte er mit langsamen Schritten die Schleuse und schwamm dann in das Innenbecken, überquerte es, erreichte die Treppe, stieg aus dem Wasser und legte sich auf den gekachelten Boden.
Unwillkürlich atmete er sogar jetzt, als er an seinem Tisch mit Elbblick saß, tief durch, so, als hätte er diese lange zurückliegende Strapaze soeben noch einmal erlebt. Trotzdem, sein Kampf im Wasser war sicher nichts im Vergleich zu dem, den Sigrid und Arndt im Atlantik gekämpft hatten! Welche Qualen mußten sie erlitten haben, vor allem bei diesem mörderischen Atmen, das keins mehr war, keins mehr sein konnte, weil da nicht Luft, sondern Wasser in die Lungen gepumpt wurde! Bis dann ein gnädiger Augenblick für die Ohnmacht sorgte! Er hoffte, sie war schnell eingetreten. Wohl zum hundertsten Mal sagte er sich: Ich kann diesen furchtbaren Tod nicht auf sich beruhen lassen! Mit Behinderungen muß zwar gerechnet werden in dieser Zeit der Eigensucht, und natürlich hat auch die Sache mit dem Kraftwerk, das im Harz den Bäumen den Tod bringt, eine andere Seite der Medaille. Der Filter, der das Baumsterben verhindern könnte, kostet Millionen. Wird er angeschafft, geht der Strompreis in die Höhe.
Wird er nicht angeschafft und das Kraftwerk stillgelegt, fehlt uns der Strom. Es ist, dachte er, die unentwirrbare Verflechtung vom Fortschritt und seinen Folgeschäden, aus der wir nicht mehr herauskommen. Aber mit Sigrids und Arndts Tod verhält es sich anders. Ihr Sterben ist aller Vermutung nach die direkte Folge davon, daß ein einzelner Mensch selbstsüchtig gehandelt hat.
Er zahlte, verließ den Süllberg, fuhr nach Hause, diesmal auf Straßen, die durch die Innenstadt führten. Beim Anblick der vielen Fenster links und rechts mußte er ein weiteres Mal an die Spielregeln denken, die es um so mehr einzuhalten galt, wenn die Menschen auf dichtem Raum zusammenlebten.
Keine laute Musik nach zehn Uhr! Kein Badewasser nach zehn Uhr! Kein Hämmern und Bohren und Sägen morgens um sechs! Es ging nicht anders, nur hatte man leider oft den Eindruck, daß die großen Übergriffe auf Mensch und Natur weniger geahndet wurden als die kleinen.
Zu Hause erwartete ihn eine
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