1991 Atlantik Transfer (SM)
passiert nichts, du bist ja da und Mami auch!« Sigrid nannte unser Herumtollen im Wasser das doppelte Schwimmen, und das war’s ja auch, weil der Tank, in dem wir schwammen, umschlossen war von einem Schiff, das seinerseits schwamm.
Ihm fiel ein Erlebnis ein, das mit einem anderen Schwimmbad zu tun hatte: Winter 1986. Er mit Sigrid und dem zweijährigen Arndt in einem Sporthotel in Bayern. Morgens sieben Uhr. Die beiden schliefen noch. In Badehose und Bademantel schlich er sich aus dem Zimmer, fuhr mit dem Lift hinunter ins Schwimmbad, dessen besonderer Reiz darin lag, daß es eine Art Schleuse hatte, die in ein Außenbecken führte. So konnte man die Halle verlassen und seinen Schwimmsport unter freiem Himmel fortsetzen, indem man sich von den Schultern abwärts im geheizten Wasser warm hielt, den Kopf aber den eisigen Minusgraden aussetzte. Er liebte diesen Wechsel von drinnen nach draußen, empfand es als erfrischendes Erlebnis, die plötzliche Kälte im Gesicht zu spüren und durch die Schwaden des aufsteigenden Dunstes in den verschneiten Hotelpark zu blicken.
Für das Überwechseln von dem einen in das andere Becken gab es, je nach Befindlichkeit, verschiedene Methoden. Gebrechliche Personen bewegten sich behutsamen Schrittes durch die etwa meterbreite Schleuse, die natürlich nicht Schleuse war im Sinne eines Ausgleichs unterschiedlicher Wasserspiegel, sondern nur von ihrer Bestimmung als Durchlaß her. Sie hoben die bis ins Wasser herabhängenden Gummimatten, die das Eindringen der Kaltluft verhindern sollten, leicht an, bückten sich, schlüpften unter der biegsamen Barriere hindurch und gingen auf der anderen Seite weiter, bis es wieder tief wurde, streckten die Arme aus und begannen, gemächlich ihre Bahnen durchs Wasser zu ziehen.
Er machte es anders, denn er empfand es als ein besonderes Vergnügen, schon in der warmen Halle unterzutauchen und den ganzen Weg, zunächst bis zur Schleuse, dann unter den Matten hindurch und weiter ins Außenbecken und dort bis zur Mitte, zu schwimmen, ohne zwischendurch aufzutauchen. Da dieses Manöver von der Strecke her keine besonderen Anforderungen stellte – im ganzen mochten es fünfundzwanzig Meter sein, die zu bewältigen waren –, versorgte er sich vor dem Untertauchen auch nur mäßig mit Luft, zumal er jederzeit wieder auftauchen konnte.
An diesem Morgen war er der einzige Hotelgast im Schwimmbad. Abends hatte im großen Festsaal ein Ball stattgefunden, und so lagen jetzt wohl auch die Frühaufsteher noch in den Federn. Nachdem er ein paar Runden geschwommen hatte, steuerte er seine Ausgangsposition an und ließ sich dort von dem starken Zulaufstrom, der unterhalb der Wasseroberfläche aus der Düse kam, den Bauch massieren. Dann drehte er sich um, genoß noch für eine Weile den Anprall des Wassers gegen den Rücken, holte sich seinen Vorrat an Luft und tauchte.
Mit ruhigen, gleichmäßigen Schwimmzügen legte er Meter um Meter zurück und sah schon bald die Stelle, an der die Kachelwand unterbrochen war, deutlich vor sich. Mit einem besonders kräftigen Schwimmstoß gab er sich Schwung, um dann mit angelegten Armen die Schleuse zu durchgleiten. Er machte gute Fahrt, spürte, als er das andere Becken erreicht hatte, sofort die um vier, fünf Grad verringerte Wassertemperatur, schoß auch gleich, wie er es gewohnt war, mit den wiederaufgenommenen Schwimmzügen bis fast auf den Grund hinab. Denn das war der größte Spaß am Wechsel von drinnen nach draußen: wie ein Delphin aus der Tiefe emporzuschnellen und dann mit dem gestreckten Körper möglichst weit aus dem Wasser und in die eisige Luft zu geraten. Jetzt war der Ort, an dem er für gewöhnlich auftauchte, erreicht. Er merkte es vor allem daran, daß er bald neue Luft brauchte. Seine Füße ertasteten den Boden. Er ging in die Knie, um den festen Grund als Abstoßrampe zu benutzen. Ganz flüchtig registrierte er, daß irgend etwas anders war als sonst. Ja, sonst war es heller. Man hatte wohl vergessen, die Außenlampen einzuschalten. Endlich der Abstoß. Wie er wenige Sekunden vorher in waagerechter Haltung mit angelegten Armen durch die Schleuse geglitten war, so schoß er nun senkrecht durch das Wasser nach oben.
Rums! machte es, und es war nicht die Kälte, die ihm einen Schock versetzte, sondern die starre hölzerne Abdeckung des Außenbeckens, gegen die er geprallt war. Er war so benommen, daß er in einem Reflex nach Luft schnappte und dabei Wasser schluckte. Das brachte ihn zur Besinnung. Was war
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