1991 Atlantik Transfer (SM)
kann ich mich mit einer einzigen Frage begnügen, die eigentlich am Schluß eines mühsamen Herantastens stehen sollte. Nun steht sie eben am Anfang, aber ich glaube, das schadet der Sache nicht mal. Also, warum hat die CAPRICHO, als die MELLUM ihr SOS aussandte, spontan Hilfe zugesagt und sie dann doch nicht geleistet?«
Sie sahen einander an. Erwartung, ja, Spannung war im Gesicht des Jüngeren abzulesen. Geringschätzung, wenn nicht Verachtung war es, was die Miene des anderen ausdrückte. Endlich, das Schweigen hatte wohl eine halbe Minute gedauert, sagte Nielson:
»Eins zu eins. Aber glauben Sie ja nicht, daß dieses Unentschieden der Endstand ist!«
Noch einmal drehte er sich zu seinem Regal um. Wieder streckte er die Hand aus, und diesmal kehrte sie mit einer bauchigen Flasche zum Schreibtisch zurück. Hart stellte er sie auf den Busen des Covergirls.
»Ah, Sie brauchen jetzt einen Schluck!«
»Das ist nicht irgendein Schluck!« Nielson nahm die Hand von der Flasche, und Thaden las: Grand Armagnac JANNEAU. »Es sollte«, fuhr Nielson fort, »ein fröhlicher Umtrunk werden.
Nun wird es einer unter Gegnern.« Er stand auf, holte aus einem Schrank zwei Gläser. Dann öffnete er die Flasche und schenkte ein. »Gegnerschaft«, sagte er, »ist noch keine Feindschaft. Also Prost!«
Thaden, durch diese Worte irritiert, konnte nicht anders als angemessen antworten, und da »Prost« ihm weniger lag, sagte er: »Zum Wohl!«
Sie tranken, setzten die Gläser ab.
»Der ist wirklich gut«, sagte Thaden. Es war, als herrschte für ein paar Minuten Waffenruhe.
»Ja, für mich ist es der beste Tropfen der Welt. Wo waren wir stehengeblieben? Ach ja! Sie glauben, mich überführt zu haben. Dazu kann ich Ihnen eine Geschichte erzählen.«
»Seemannsgarn?«
»Nein, die bittere Wahrheit.«
»Ich höre.«
»Es ist Nacht auf dem Nordatlantik, und wir befinden uns ungefähr tausend Meilen östlich von Philadelphia. Da reißt uns die Alarmglocke aus dem Schlaf. Ich stürze in die Funkstation und kriege gerade noch mit, daß Jonas Ellerup auf den SOS-Ruf eines Schiffes antwortet. Als ich dann vor ihm stehe, unterbricht er seinen Funkspruch und erzählt mir, was los ist. Na, und was da los war, brauche ich Ihnen nicht zu erklären, denn in Ihrem Revolverblatt steht’s ja haargenau beschrieben. Ich sag’ zu Ellerup, wir fahren hin, und will grad auf die Brücke gehen, da steht plötzlich ein Dritter vor uns, und ehe wir beide uns versehen, hat Ellerup eine Pistole an der Schläfe. Um es kurz zu machen: Der Mann hielt den Funker drei Stunden lang in seiner Gewalt und zwang mich damit, den alten Kurs beizubehalten, also die Rettungsaktion zu unterlassen. Ich hatte die Wahl, an die Unglücksstätte zu fahren und meinen Funker zu opfern oder den Kurs zu halten und ihm dadurch das Leben zu retten. Nun können Sie natürlich sagen, daß auf der MELLUM über zwanzig Leute in Gefahr waren und hier an Bord nur einer. Das ist dann eben Ihre Abwägung. Meine sah anders aus. Als Seemann wußte ich, daß den Schiffbrüchigen möglicherweise auch von anderer Seite zu helfen war. Vier wurden dann ja auch tatsächlich geborgen. Okay, das sind verdammt wenig, aber das konnte ich nicht im voraus wissen. Was ich dagegen wußte, war: Mein Funker wäre über den Haufen geschossen worden, wenn ich auch nur den geringsten Versuch unternommen hätte, den Kurs zu ändern. So weit die Geschichte.«
»Also hatten Sie einen Verrückten an Bord.«
»Ja … das könnte man … das könnte man sagen.«
»Zwei zu eins für Sie. Unter Vorbehalt. Es kommt darauf an, was es mit diesem Irren auf sich hat. Sie kennen doch DAS BOOT. Buch oder Film, ist egal.«
»Ja.«
»Da dreht auch einer durch, ein Mann aus der Maschine. War es bei Ihnen ein ähnlicher Fall?«
»Nein. Der U-Boot-Mann hält, soweit ich mich erinnere, die akute Gefahr nicht aus. Da fallen ja jede Menge Wasserbomben. Bei meinem Verrückten war es anders. Auch für ihn gab es eine Gefahr, aber sie war weniger akut.«
»War es jemand von Ihrer Besatzung?«
»Nein.«
»Ein Passagier also?«
»Ja, aber ein illegaler.«
»Von dem Sie nichts wußten?«
»Von dem die Besatzung nichts wußte.«
»Also hatten Sie ihn an Bord genommen?«
Nielson schenkte nach, trank. Schließlich nickte er. »Ja.«
»Dann gibt es jetzt wohl noch eine Geschichte?«
»Muß es wohl.«
12
Nielson zog die oberste Schublade seines Schreibtisches auf, schien dort etwas Bestimmtes zu suchen, blickte zwischendurch hoch und fragte: »Haben
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