1991 Atlantik Transfer (SM)
HarpunenAnschlag von Cancún artikuliert habe, und meinte dazu, wenn eine so grausame Vollstreckung auch nicht die richtige Methode sei, so lenke sie doch die öffentliche Aufmerksamkeit auf den berechtigten Zorn der vielen, die mit ihrem sauer Ersparten das Luxusleben eines einzelnen finanziert hätten. Die Tageszeitung aber schrieb von einem verwerflichen Akt der Selbstjustiz, der, wenn er Schule mache, der Anarchie Tür und Tor öffne.
Ja, James Hamilton war sehr zufrieden, denn nirgendwo stand auch nur ein einziges Wort des Zweifels. Im Gegenteil, beide Blätter bezeichneten den Tod von Cancún als den ebenso definitiven wie letztlich auch gerechten Abschluß einer facettenreichen bundesdeutschen Gaunergeschichte.
Er verbrannte die Zeitungen im Kamin, ging hinunter ins Schwimmbad, entkleidete sich und zog dann seine Bahnen durch das mit kostbaren Talavera-Kacheln ausgelegte Becken, genoß das Schwimmen, das nicht beschwert war von der Notwendigkeit, für eine kritische Nachwelt die Rolle des Sterbenden spielen zu müssen. Nun war er endgültig und auf alle Zeit James Hamilton. Einen Ernst Pohlmann gab es nicht mehr.
Auch die Zwischenexistenz eines Eberhard Leuffen hatte ausgedient. Perücke und aufgeklebter Bart waren passe; jetzt galt für immer der kurze Bürstenschnitt, und die graue Zierde am Kinn war wieder echt. An die Kontaktlinsen hatte er sich längst gewöhnt, brauchte sie nicht einmal mehr vor dem Schwimmen zu entfernen.
Ihm war, während er an den blauen und gelben Kachelornamenten entlangschwamm und sie als schmückende Randerscheinungen seines neuen Lebens empfand, nach Feiern zumute. Aber noch mangelte es ihm an Menschen, die seine Gäste hätten sein können, und darum entschloß er sich, am Abend noch einmal nach Mexico City zu fahren. In der pulsierenden Stadt würde es ihm sicher gelingen, sich selbst eine kleine Fiesta zu bereiten.
Da er auf eine lange Nacht eingestellt war, hatte er Jórge, seinen Chauffeur, wieder zurückgeschickt und betrat nun das im Stadtteil San Angel gelegene Restaurant La Hacienda, dessen gute Küche er kannte. Der große, rustikal eingerichtete Speiseraum mit dem vielen Holz an Decke und Wänden und den alten Kolonialmöbeln verriet, daß hier ein Stück Mexiko vergangener Jahrhunderte bewahrt wurde. Die Serviererinnen trugen lange weiße Maya-Gewänder, die Musikanten waren Mariachi -Spieler, und das Eßgeschirr entstammte der kunstvollen Töpferarbeit aus Puebla.
Vorweg aß er geschmorte Pilze mit Knoblauch und Chili und danach Truthahn und die berühmte Mole, jene scharfwürzige dunkelbraune Soße, die aus der mexikanischen Küche nicht wegzudenken war und mit der er in den ersten Monaten seine Schwierigkeiten gehabt hatte. Aber das war längst vorbei, und so genoß er auch diesmal das zarte Geflügelfleisch und die exotische Melange aus Anis, Pfeffer, Zimt, Schokolade, Knoblauch, Sesam, Mandeln, Erdnüssen, Chili, Mais, Tomaten, Brot und weiteren Zutaten.
Als Nachtisch ließ er sich ein Hibiskusblüten-Sorbet auf der Zunge zergehen, und danach wollte er dann auch den Kaffee nicht so, wie er ihn von Deutschland her gewohnt war, sondern trank café de olla, die mit Zimtstangen zubereitete und mit braunem Zucker gesüßte mexikanische Variante.
Nach dieser wahrhaft lukullischen Einstimmung auf seine Fiesta verließ er das Restaurant, durchstreifte ein paar Straßen zu Fuß, erreichte die große Nord-Süd-Achse der Stadt, die achtspurige Avenida de los Insurgentes, winkte ein Taxi heran, gab dem Fahrer zwanzig Dollar und sagte ihm in seinem zwar noch unvollkommenen, aber für einen Ausländer doch schon respektablen Spanisch, er möge ihn zu einem der Häuser fahren, in denen es chicas gebe, Mädchen also. Der junge Mestize küßte den Geldschein und antwortete: »Dafür fahre ich Sie in den Himmel.«
»Lieber nicht!« erwiderte Hamilton.
» Bueno « , antwortete der Fahrer und schlug die geballte Rechte in die Innenfläche seiner Linken, » entonces vamos al infierno! « Fahren wir also zur Hölle.
Aber dann fühlte James Hamilton sich doch wie im Himmel, so wunderschön waren die blutjungen Mexikanerinnen in der großen prächtigen Villa in der Calle Amsterdam. Dem Pförtner am Eingang hatte er fünf Dollar gegeben, und der hatte ihn daraufhin nicht nur ins Haus geleitet, sondern ihm auch noch einen heißen Tip zugeraunt. » Pregunte Vd. por Enriqueta! « Fragen Sie nach Enriqueta! Doch er brauchte, sobald er die geräumige Halle betreten hatte, keine
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