1991 Atlantik Transfer (SM)
Sie Kinder?«
Thaden schüttelte den Kopf.
Ein Foto im Format einer Postkarte kam auf den Tisch. »Das ist mein Sohn«, sagte Nielson. »Olaf. Er ist jetzt einunddreißig Jahre alt.«
Thaden nahm das Foto in die Hand. Es war die Porträtaufnahme eines gutaussehenden blonden Mannes, der ein verhaltenes Lächeln zeigte, wie er es auch schon bei dem Kapitän beobachtet hatte. Es drückte eine eigenartige Mischung von Witz und Melancholie aus. Er legte das Foto wieder auf den Schreibtisch. »Hat er etwas mit Ihrer Geschichte zu tun?«
»Er ist meine Geschichte. Wir haben uns glänzend verstanden, mein Sohn und ich, haben sogar zusammen ein Geschäft aufgezogen, einen Bootsverleih an der Elbe, der auch vielversprechend anlief, dann aber ins Stocken kam. Die Kunden blieben weg, so, als hätte das Segeln plötzlich seinen Reiz eingebüßt.
Aber natürlich hatte nicht das Segeln seine Attraktion verloren, sondern der Fluß. Würden Sie in eine Badewanne steigen, wenn Sie wüßten, gerade vorher hat jemand reingepinkelt? Dabei ist Urin ein harmloser Stoff im Vergleich zu dem, was die Großindustrie tonnenweise in unseren Fluß pumpt. Die Fische werden aussätzig, die Vögel krepieren oder ziehen weg, das Wasser ist eine stinkende, trübe, giftige Brühe. Okay, Segeln ist nicht gleich Baden, aber man gleitet lieber durch sauberes Wasser, und irgendwann will man vielleicht doch mal reinspringen oder sich einen Fisch rausholen. Ich versteh’ es schon, wenn die Skipper sich nach anderen Revieren umsehen.
Was soll ich lange reden, unser Geschäft ging den Bach runter.
Mein Sohn, der früher einen guten Job in einer Schiffsausrüstungsfirma hatte, war von mir zu dem Projekt überredet worden. Das müssen Sie sich mal vorstellen: Ein Vater redet auf seinen Sohn ein und bringt ihn dazu, seinen Job hinzuschmeißen und fast hunderttausend Mark an Ersparnissen in ein Geschäft einzubringen, das danebengeht. Zwar haben Sie keine Kinder, aber vielleicht können Sie trotzdem ermessen, wie man sich als Vater dann fühlt. Einfach beschissen!«
»Ihr Sohn ist ein erwachsener Mensch. Er hätte nein sagen können.«
»Ja, aber er hat mir vertraut, hat auf meine Erfahrung gesetzt.«
»Ich fand’s besser, Sie würden jetzt zur Sache kommen.«
»Warten Sie doch ab! Ich wollte das alles wieder ausbügeln, wollte um jeden Preis dafür sorgen, daß wir die Hypotheken loswerden, mußte also irgendwie zu Geld kommen. Mein Gehalt reichte dafür nicht aus, aber es bot sich die Möglichkeit, durch illegale Transporte etwas nebenher zu verdienen.«
»Und der Irre auf der CAPRICHO war so ein illegaler Transport?«
»Richtig. Meistens waren es Waffen, manchmal auch Drogen, und diesmal war’s ein Mensch, ein Flüchtling.«
»Flüchtling … das ist ein weiter Begriff. Da gibt’s ja eine ganze Skala, angefangen bei dem zu Unrecht Verfolgten und endend bei dem Ganoven, dem ein Ausbruch aus dem Gefängnis gelungen ist. Zu welcher Kategorie gehörte denn Ihrer?«
»Zur kriminellen, nehme ich an. Er war zwar nicht aus dem Gefängnis geflohen, aber er wäre bestimmt hineingekommen, wenn er nicht rechtzeitig das Weite gesucht hätte.«
»Sie wissen, wer er ist?«
»Wenn ich richtig liege, ist er der Mann, der einen Baumaschinen-Konzern runtergewirtschaftet und sich dann mit einigen hundert Millionen aus dem Staub gemacht hat.«
»Etwa Ernst Pohlmann, von dem seit Monaten in den Nachrichten die Rede ist?«
»Ja, ich bin fast sicher. Er kam in Antwerpen als Eberhard Leuffen an Bord, aber ich hatte in der Presse Fotos von Ernst Pohlmann gesehen, und mit dem hatte er verdammt viel Ähnlichkeit.«
»Wohin brachten Sie ihn?«
»Er stieg in Veracruz aus.«
»Und dieser Mann hat die Rettung der Schiffbrüchigen vereitelt?«
»Ja, mit gezogener Waffe.«
Noch einmal erzählte Nielson, diesmal ganz ausführlich, was sich im Funkraum der CAPRICHO abgespielt hatte. Aber von der Extra-Prämie sagte er nichts. Er fand, Bedrohung und Belohnung paßten nicht gut zueinander und brächten seinen Zuhörer womöglich auf die Idee, die zwanzigtausend Dollar hätten Ellerup und ihn gefügig gemacht, und die Pistole hätte es gar nicht gegeben.
»Wo hatten Sie ihn denn versteckt?«
Nielson stand auf, trat zur Wand, klappte die Zierleisten um, öffnete die Tür zur bodega und machte dort Licht.
»Hier! Als er den Alarm hörte, hat er die Tür zertrümmert und ist in den Funkraum gelaufen.«
Thaden stand ebenfalls auf, betrat den winzigen Raum, sah sich darin um, ging zurück in
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