1992 Das Theunissen-Testament (SM)
in Miami erzählen sollen? Er zog, während er seinen Kaffee trank, auch in finanzieller Hinsicht Bilanz. Abgesehen von dem Kleingeld, das der alte José und Umberto bekommen hatten, waren achttausend Dollar an die Journalistin gezahlt worden. Die Hotels, die Inlandflüge, die Leihwagen und die Mahlzeiten hatten etwa viertausend gekostet, und ein Betrag von dreitausend Dollar war für die Tickets nach Nassau draufgegangen. Alles in allem hielten die Ausgaben sich also in Grenzen. Natürlich machte der Sold für Federico und Ernesto einen zusätzlichen dicken Posten aus, aber im Grunde spielten die gesamten Aufwendungen angesichts der Hilario abgejagten Beute keine Rolle, wobei er sich allerdings noch immer nicht klar darüber war, wem das Blutgeld denn nun gehörte.
Er ließ ab von den vergleichsweise kleinen Zahlen, wandte sich der großen Summe zu, der als Kaution hinterlegten halben Million. Wenn ich verliere, dachte er, ist auch dieses Geld verloren, gewinne ich, so bekomme ich es zurück und später vielleicht die ganze Reederei.
Seine Schiffe kamen ihm in den Sinn und die Menschen, die sie von Hafen zu Hafen steuerten, die Kapitäne, die Besatzungen. Und an Wessel dachte er, an Hagemann, an Frau Mischke und die vielen anderen, die weiterhin tagein, tagaus zu THEUNISSEN II gingen und dort ihre Arbeit verrichteten, ohne zu wissen, für wen.
Federico und Ernesto kehrten zurück, setzten sich zu ihm. Kaffee wollten sie nicht, meinten, jetzt sei die Zeit für eine Bloody Mary. Als der Kellner die beiden Drinks gebracht hatte, fragte Olaf Federico:
»Ist deine Beziehung zu Alejandra Alonso eigentlich nur eine kleine Affäre, oder wird sie von Dauer sein?«
»Es nimmt der Sache was«, war die Antwort, »wenn man das schon im voraus weiß. Jedenfalls ist sie eine aufregende Frau und außerdem für uns von großem Nutzen. Sie brennt darauf, nach dem Bahama- und Florida-Trip mit uns nach Deutschland zu fliegen. Aber ich mach’ mir nichts vor. Da geht es ihr ums Finale der Story, und ich bin eine – hoffentlich angenehme – Begleiterscheinung. Ich schätze, wenn alles vorüber ist, kehrt sie nach Chile zurück, so wie ich wieder auf ein TheunissenSchiff gehe, das mich ja vielleicht irgendwann einmal nach Valparaiso bringt. Das wär’ dann schön, aber für’s Heiraten bin ich nicht geschaffen.«
Es war, fand Olaf, eine ehrliche Antwort. »Und du«, wandte er sich an Ernesto, »hast du eigentlich jemanden, von dem du dich losreißen mußtest, als du diesen Job angenommen hast? Ich frage nicht aus Neugier, sondern nur, weil ihr mir ans Herz gewachsen seid und ich über meine Freunde gern Bescheid weiß.«
»Ich hatte eine Novia « , erwiderte Ernesto, »wie man bei uns eine Braut nennt. In Málaga. Aber kurz bevor Federico wegen der Chile-Reise bei mir anfragte, war es zwischen Mariela und mir zum Bruch gekommen. Sie ist Lehrerin und für meinen Geschmack viel zu emanzipiert. Ich liebe die sanften Frauen, die nicht immer so genau wissen, was sie wollen.« Es war sechs Uhr geworden, und hin und wieder blickten sie zum Eingang, mal der eine, mal der andere. Um Viertel nach sechs wurde Olaf ungeduldig, aber Federico sagte zu ihm: »Bei einer Verabredung mit Zeitungsleuten muß man immer mit Verspätung rechnen. Das bringt der Job so mit sich.« Doch um halb sieben wurde auch er nervös, und es trug nicht gerade zu seiner Beruhigung bei, daß Ernesto fragte: »Was, wenn sie uns reingelegt hat?«
»Wie denn?« wollte Olaf wissen.
»Na, daß ihr Gerede vom Team nur ein Trick war, um uns auszuhorchen, und sie ihre Story längst abgeliefert hat.«
»Unmöglich«, sagte Federico.
»Wer weiß!« Olaf machte ein nachdenkliches Gesicht. »Und wenn es stimmt, was Ernesto sagt, dann ist die Veröffentlichung ihrer Story natürlich nur die eine Seite der Medaille. Die andere wäre, daß sie auch ihre Freunde von der Polizei verständigt hat. Das eine ginge nicht ohne das andere.«
»Doch«, meinte Ernesto. »Wie oft passiert es, daß ein Blatt die tollsten Enthüllungen bringt, aber auf keinen Fall seine Informanten preisgibt! Außerdem, wenn sie uns verraten hätte, wären die Bullen längst hier.«
Unwillkürlich drehte Olaf sich um und blickte dann verstohlen von Tisch zu Tisch, entdeckte aber niemanden, der irgendeine Auffälligkeit zeigte, und auch hinter der gläsernen Eingangstür bemerkte er nichts, was nach einer polizeilichen Aktion aussah. »Kann wirklich sein«, beharrte Ernesto auf seiner Einschätzung, »daß
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