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1992 Das Theunissen-Testament (SM)

1992 Das Theunissen-Testament (SM)

Titel: 1992 Das Theunissen-Testament (SM) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hinrich Matthiesen
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du es nennst, läge ich dauernd am Boden.«
»Wie bitte?«
»Sie ist anders als wir, ist ein bißchen unbedenklich und leichtblütig. Männergeschichten hat es bei ihr immer gegeben.«
»Auch während ihrer Ehe?«
»Das meine ich ja gerade.«
»Weiß Onkel John davon?«
»Keine Ahnung.«
»Aber du weißt es! In was für einer Familie leb’ ich denn bloß!«
»In einer buntgemischten. Die Theunissen-Sippe hat die unterschiedlichsten Charaktere hervorgebracht. Der alte Maynhard zum Beispiel, dein Urgroßvater, war ein Patriarch, und seine Gesine muß die Duldsamkeit in Person gewesen sein. Ihre Söhne waren in der Jugend wild, wurden aber mit den Jahren ruhiger. Bis auf Claas. Der war und blieb ein Schürzenjäger. Bei allem Respekt gegenüber dem, was er geleistet hat, die Frauen hat er sich genommen, wie man gute Weine trinkt, zwar genießerisch, aber doch im vollen Bewußtsein, daß ein Glas schnell zur Neige geht. Und die beiden Vettern Olaf und John …,ja sie waren offen und ehrlich, und bei deinem Vater kam dann noch viel Charme hinzu. Der Wettkampf hat beide verändert, hat sie härter gemacht und wohl auch ein bißchen unberechenbar.«
»Kein Wunder. Das wär’ mit jedem passiert. Aber noch mal zurück zu Tante Helga! Wieso …«
»Jacob, ich möchte, daß wir das Thema jetzt beenden. Es ist zu unwichtig.«
Für den Rest des Weges sprachen sie über die Ereignisse in Chile. Sie waren froh, daß Olaf, Federico und Ernesto nach dem Tod der Journalistin das Land noch rechtzeitig hatten verlassen können.
Jacob brachte seine Mutter nach Haus und fuhr dann gleich zurück in die Firma.
Und Jenny setzte sich an den Schreibtisch, um die Zeit, bis Mira aus der Schule kam, zu nutzen und ein paar Überweisungsaufträge auszufüllen. Auch mußte wegen Marias bevorstehender Heirat ein Brief an die AOK geschrieben werden. Aber noch ehe sie mit der Arbeit begonnen hatte, schob sie die Papiere wieder beiseite, legte den Stift aus der Hand, starrte grübelnd vor sich hin. Richtige Freundinnen sind Helga und ich nie geworden, dachte sie. Trotzdem, es gab zwischen uns eine Nähe, die ganz automatisch dadurch entstanden war, daß wir beide einen Theunissen geheiratet hatten. Als ich von ihrer ersten Liebschaft erfuhr, war ich erschrocken, aber nicht schockiert. »Das Leben ist zu kurz«, sagte sie damals zu mir, »als daß man es durch zuviel Disziplin einengen sollte.« An diesem Wahlspruch schieden sich unsere Geister. Sie wollte nicht begreifen, daß man sich durch Disziplin zwar manches versagt, aber auch vieles bewahrt, was sonst untergehen würde. Ich hab’ ihre Haltung akzeptiert, denn es lag mir fern, sie mit meiner Elle zu messen, und auf dieser Basis haben wir uns ganz gut verstanden. Ja, und dann kam jener denkwürdige Tag im Haubarg! Sie hatte sie genau vor sich, die fröhliche Runde im Pesel, John und Helga, Olaf und sie. Die Kinder, damals so um die zehn, zwölf Jahre alt, schliefen längst nach einem turbulenten Tag in den Feldern. Es war schon nach Mitternacht, und sie wurde müde, verabschiedete sich und ging in das Giebelzimmer, das sie mit Olaf teilte. Auf welche Weise der Rest der Familie sich später trennte und wie es dazu kam, daß schließlich nur Olaf und Helga noch wach waren, hatte sie nie ergründet. Sie wußte nur, daß Olaf es liebte, an den Deich zu fahren, dort den Wagen abzustellen und am Wattenmeer entlangzulaufen, egal zu welcher Tages- oder Nachtzeit. Wahrscheinlich war er auch in dieser Nacht an seinem Deich gewesen und dann zurückgekommen. Jedenfalls war sie selbst gegen drei Uhr wach geworden, hatte sein Bett leer gefunden, war aufgestanden und aus dem Zimmer gegangen. Sie wollte gerade die Treppe hinabsteigen, da hörte sie Stimmen, und als sie sich dann übers Geländer beugte, sah sie im Eingangsflur Olaf und Helga stehen, er in Gummistiefeln, Jeans und Cordjacke, sie in einem hauchdünnen kurzen Nachthemd. Sie trat vom Geländer zurück, lehnte sich an die Wand, konnte jedes dort unten gesprochene Wort verstehen. Helga:
»Aber sie schlafen beide bestimmt tief in dieser schweren Seeluft, die uns Städter so müde macht.« Olaf: »Dich offenbar nicht.«
»Nein, mich macht sie verrückt. Oder auch scharf, was in diesem Fall dasselbe ist. Und dich auch. Siehst du?«
»Bitte, laß das!«
»Wieso läuft in deinem Kopf dieser prüde Film ab, wenn da unten so viel los ist? Und wieso ist da so viel los?«
»Na ja, was du trägst, ist ja auch kein Nachthemd, sondern ein Nichthemd. Und daß du

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