1992 Das Theunissen-Testament (SM)
schon so oft getan hatte, noch einmal, ob er den Jungen wirklich in sein gewagtes Vorhaben einbeziehen sollte, entschied sich wiederum dafür. »Ja, und dann ab nach Chile!« sagte er also. »Ich besorge mir einen falschen Paß, geh’ über die grüne Grenze nach Dänemark und fliege von Kopenhagen aus. Auf den deutschen Flughäfen kennt mittlerweile wohl jeder meine Nase, dafür haben ja die Zeitungen gesorgt. Ich verschwinde also, und danach können die Leute von mir aus ihre Mäuler aufreißen und Stein und Bein schwören, ich sei der Täter und hätte darum das Weite gesucht. Ich werde wiederkommen, aber erst, wenn ich den Fall aufgeklärt habe.«
»Donnerwetter!« sagte Jacob noch einmal, und seine Augen glänzten. Doch gleich darauf glitt ein Schatten über sein Gesicht. »Aber die Gefahren, von denen du grad eben geredet hast, die gelten auch für dich, ja, für dich wahrscheinlich noch viel mehr.«
»Irrtum. Da ich mit falschen Papieren reise, taucht der Name Theunissen drüben nicht auf, und das ist ein entscheidender Vorteil. Aber nun zu dir! Dich brauche ich für andere Aufgaben, die schon morgen angepackt werden müssen. Ich werde ein paar Helfer mitnehmen, sagen wir, zwei. Clevere, harte Burschen. Nur, die wollen erst mal gefunden sein! Gute Bezahlung ist selbstverständlich, denn der hohe, unter Umständen lebensgefährliche Einsatz muß sich für sie lohnen. Frage. Wo trifft man auf solche Männer? Antwort. In der Fremdenlegion, auf dem Kiez, im Knast. In allen drei Fällen wäre das Anwerben schwierig und heikel. Ich meine, es gibt noch ein viertes Potential, und zwar auf den Schiffen. Klar, die meisten Seeleute von heute sind keine Abenteurer mehr, aber ein paar vom alten Schlag wird es noch geben. Such sie mir! Auf unseren Schiffen fahren insgesamt zweihundertfünfundachtzig Besatzungsmitglieder. Wenn wir die jetzt alle vor uns hätten, wäre das ein ziemlich bunter Haufen. Weiße, Schwarze, Gelbe. Deutsche, Spanier, Türken, Filipinos und so weiter. Aber auch, Christen, Juden, Moslems, Hindus. Fünfzehnjährige, Fünfzigjährige. Familienväter, Singles, Geschiedene. Knastbrüder und Biedermänner. Egoisten, Altruisten, Gleichgültige, Feiglinge und Helden. Ob geographisch, politisch, konfessionell oder sozial, immer ist es die ganze Bandbreite. Ich will aus diesem riesigen Haufen die zwei Männer, die am ehesten geeignet sind, mir zu helfen, will also die besten, und ich sag’ dir, wie sie beschaffen sein müssen. Ungefähr dreißig Jahre alt. Auf jeden Fall intelligent, mutig, gesund, ledig und absolut zuverlässig. Und sie sollten möglichst Spanisch sprechen. Als erstes setzt du dich mit Frau Tiedgen im Personalbüro in Verbindung, sagst ihr, du kümmerst dich während meiner Abwesenheit um die Reederei. Ich werde sie auch noch anrufen. Kurzum, auf diese Weise kriegst du den Zugang. Du willst dann eben in alles Einblick nehmen und fängst an beim wichtigsten Bestandteil der Firma, bei den Menschen. An Hand der zweihundertfünfundachtzig Personalakten kannst du schon mal vom Schreibtisch aus eine allererste Sondierung vornehmen. Da findest du auf Anhieb mindestens zweihundert Männer, die von vornherein ausscheiden, weil sie zu alt sind oder zu jung oder weil sie Familien haben. Oder es hapert am IQ, was an ihren Lebensläufen und Ausbildungsgängen abzulesen ist. Ganz sicher wirst du aber auch zwei oder drei Dutzend Männer finden, die für eine Vorauswahl in Frage kommen. Aus diesem Angebot filterst du die beiden heraus, die vom Gesamteindruck her die besten Voraussetzungen mitbringen. Es kann durchaus so kommen, daß du eine geradezu ideale Personalakte in die Hände kriegst, dir die Finger leckst nach dem Mann und schon beim ersten Kontakt merkst, man würde es keine zwei Stunden mit ihm aushaken. Okay, der entfällt dann, und ein anderer wird unter die Lupe genommen. Du suchst die Männer auf, egal, wo ihr Schiff anlegt. Mutter und Mira erzählen wir erst mal, du bist in Sachen Holzimport unterwegs, und Pageis wird geimpft, damit er das bestätigen kann, aber natürlich erfährt er nicht die Wahrheit. Bist du bereit, diese schwierige Aufgabe zu übernehmen?«
»Und ob!«
»Das größte Problem liegt darin, daß du deinen Kandidaten zwar gehörig auf den Zahn fühlen mußt, sie aber nicht von Anfang an ins Vertrauen ziehen darfst.«
»Ist mir klar. Denen tisch’ ich zuerst ’ne ganz andere Story auf. Wie wäre die Bezahlung für sie?«
Olaf überlegte. »Na ja …, sagen wir, das
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