1992 Das Theunissen-Testament (SM)
Beweismaterial vorgelegten Fotos diese Sachlage, er plädiere daher für einen Verbleib des Tatverdächtigen in Untersuchungshaft. Vosswinkel erklärte, das angebliche Motiv und der Aufenthalt seines Mandanten in Chile hatten keinesfalls einen schlüssigen Zusammenhang, und die Fotos seien viel eher als manipuliertes Beweismaterial anzusehen, ja, aus diesem Grunde entlasteten sie seinen Mandanten. Er bitte für ihn um Entlassung, und sei es unter Auflagen.
Er selbst, Olaf, bekam anschließend Gelegenheit, Stellung zu nehmen. Er sagte:
»Mein Aufenthalt in Chile diente zwar nicht ausschließlich, aber doch vorwiegend geschäftlichen Interessen. Darüber hinaus habe ich auf dem Deutschen Friedhof von Valparaiso das Grab meines Onkels Claas Theunissen besucht. Ich bin keiner der beiden Männer auf den Fotos, bin unschuldig, habe mit dem Untergang der OLGA THEUNISSEN nichts zu tun, ebensowenig mit dem Austausch der Kupferladung gegen Schrott.«
»Meine Herren«, der Richter sah alle drei kurz an und heftete seinen Blick dann auf die vor ihm liegende Akte, »ich setze die Untersuchungshaft bis zum Prozeß aus, und zwar mit der Auflage, zur Sicherung des Verfahrens eine Kaution von fünfhunderttausend Mark zu stellen. Herr Theunissen hat sich einmal wöchentlich bei der für seinen Wohnsitz zuständigen Polizeidienststelle zu melden. Außerdem erteile ich die Auflage, Paß und Personalausweis zu den Akten zu geben.« Noch am selben Tag, es war der vierzehnte November, konnte Olaf die Vollzugsanstalt verlassen. Er rief Jenny an und fuhr dann in einem Taxi zu ihr.
Sie empfing ihn mit der ihr eigenen verhaltenen Zärtlichkeit, die er so liebte.
»Schade nur«, sagte sie, »daß die Kinder diesen glücklichen Moment nicht miterleben.«
»Mira ist noch in der Schule?« fragte er.
»Ja, und Jacob ist gestern nach Spanien geflogen. Er hat vorhin angerufen und läßt dir ausrichten, er sei mit einer Firma in Alicante, MENDOZA heißt sie, handelseinig geworden. Heute nachmittag verhandelt er mit einer zweiten Firma, die Herr Mendoza ihm empfohlen hat. Wahrscheinlich kommt er übermorgen zurück.«
»Ich glaube«, antwortete Olaf, »Jacob macht seine Sache gut.«
Es war Jenny gar nicht recht gewesen, aber er hatte sich nicht davon abbringen lassen, gleich nach dem Mittagessen in die Reederei zu fahren, wo die Angestellten ihn mit verlegener Herzlichkeit begrüßten. Er atmete auf, als er endlich allein war. Das erste, wonach er griff, war die Positionsmeldung. Schnell fand er, was er suchte. Es war die HANNA THEUNISSEN, bei der als Zielhafen Alicante und als Ankunftszeit der zwölfte November angegeben waren. Nur ein paar Minuten später lagen die Personalakten ihrer Besatzung auf seinem Schreibtisch, und dann saugte sein Blick sich fest an dem Bild des Bootsmannes Federico Mendoza aus Estepona. Das an den Personalbogen geheftete Foto zeigte einen Südländer mit arabischem Einschlag. Er sah ein schmales, dunkelhäutiges Gesicht. Fast schwarze Augen. Volles, dunkles Haar, rechts gescheitelt. Lange betrachtete er den markanten Kopf, ging dann zum Text über. 1963 in Estepona geboren. Sohn eines spanischen Fischers und einer Frau aus Tunis. Mit sechzehn Jahren die mittlere Reife. Dann eine Lehre als Elektriker in Málaga. Mit neunzehn drei Monate Gefängnis auf Bewährung wegen Körperverletzung. In der deutschen Übersetzung des handgeschriebenen spanischen Lebenslaufes hieß es, ein englischer Tourist habe den jungen Mann beim Pokern des Falschspiels bezichtigt. Und dann wörtlich: »Ich war es meiner Ehre schuldig, diese Schmähung nicht einfach hinzunehmen.«
Des weiteren erfuhr er, daß Federico Mendoza seit acht Jahren zur See fuhr. Nacheinander hatte er auf spanischen, portugiesischen, holländischen und deutschen Schiffen angeheuert. Vor drei Jahren war er Bootsmann geworden. Alle Schiffsführer hatten ihm Tüchtigkeit und soziales Verhalten bescheinigt. Er sprach außer seiner spanischen Muttersprache fließend Englisch und Deutsch.
Olaf schloß die Akte. Nach dem, was Jacob telefonisch durchgegeben hat, dachte er, ist dieser Federico bereits gewonnen. Und ein zweiter Mann ist anvisiert, offenbar kein Seemann oder jedenfalls niemand von unseren Leuten. Vielleicht ist diese Art der weiteren Rekrutierung sogar die bessere, daß da einer, der ausgewählt wurde und zugesagt hat, jemanden empfiehlt … Er rief Frau Tiedgen an und fragte, ob es in der Personalabteilung besondere Vorkommnisse gegeben habe. »Keine«, sagte sie,
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